Jetzt macht Petrenko auch einen Mini-Zyklus Brahms. Diese Woche erklingt der Publikumsrenner D-Dur-Sinfonie und nächste Woche das mächtige B-Dur-Konzert (mit Schiff). Das ist erstmal gediegenes Philharmoniker-Business, as usual halt und ziemlich erwartbar. Interessanter ist, was neben Brahms passiert. Da stehen ein Hauptwerk eines spezifisch deutschen Expressionismus, Zimmermanns Photoptosis, und die burschickose Nachkriegs-Erste des Polen Lutosławski auf dem Zettel (oder dem Download-Programm).

Ich höre Digital Concert Hall.
Unter einem sichtlich genesenen, vital beweglichen Petrenko (Silvester-Hexenschuss, ade) legen die Philharmoniker das kalt lodernde Photoptosis hin. Ich höre abwechselnd gläsern lauernde Farbschichtenstatik (die Farben kommen aus dem Giftschrank) und dramatisch durchleuchtete Durchbrüche. Petrenko sucht nicht die expressive Zermalmung. Über dem Musikgetümmel schwebt bei Petrenko die makellose Struktur. Zimmermann dürfte es freuen.
Der Knaller des Abends ist die charmant verwegene Sinfonie Nr. 1 von Lutosławski von 1947. Die ist viersätzig. Der erste Satz ist knapp. Eine Strawinsky-Trompete intoniert das Thema. Ein Streicherthema taucht auf. Die Textur bleibt lässig. Petrenko macht sich und die Musiker locker. Lässt die Struktur atmen. Da ist plötzlich dieses unmerkliche Kopfschütteln des Dirigenten vor dem zweiten Satz, als wäre es noch nicht Zeit. Vier Sekunden später geht es los, und die Bläser zeigen ihr kapriziöses Kolorit. Schattenhaft verschmitzt und immer von nobler Sprödigkeit präsentiert sich das Allegretto (3. Satz). Und mit dem burlesk abschnurrenden Zappelphilipp-Finale geht das feine, beachtenswerte Werk zu Ende.

Dann folgt Petrenkos Brahms. Diese zweite Sinfonie (Hanslick 1878: leuchtet in gesunder Frische und Klarheit) ist reaktionsschnell, wendig und hell. Das Celli-Thema besitzt gefiederte Cantando-Leichtigkeit. Alles ist dynamisch ausgefeilt (wie selbstverständlich die Geiger sich zurücknehmen, ganz ohne expressive Deutung, das gab’s bei Rattle selten). Die Klangfarbenveränderungen zählen. Aber sie sind nicht Selbstzweck. Es gibt im Kopfsatz Passagen, die nicht den Wörthersee-Brahms meinen, so etwa der statische Fortissimo-Block der Schlussgruppe oder der kontrapunktisch dominierte Teil der Durchführung. Petrenko gibt ihnen Tempo und Schliff. Die Streicher verblüffen, indem sie an den unerwartetsten Stellen Kantables entdecken. Ich glaube, der Balgley am ersten Pult macht das sehr gut. Petrenko hat ein Mittel gegen das totgespielte „Pastorale“ der Pastorale.
Das H-Dur-Adagio und G-Dur-Allegretto sind vorzüglich genau ausgehört, die Mittelteile klingen beide Male schlank und durchaus rasch, ohne zu hetzen. Im nun wirklich schnellen Finale verfehlt Petrenko nicht die Größe der Musik. Ein Exempel an punktgenauer geigerischer Finesse, an entspannter Gruppenkoordination und Timing stellt jedes Mal das zweite Thema dar. Es ist der verblüffende, nahtlose, vollständige Brahms, den ich bei Ticciatis Zyklus mit dem DSO vor drei Jahern vergeblich erwartet hatte. Es ist ein Brahms, mit dem, nun ja, ein wenig Karajan zu den Philharmonikern zurückkehrt (habe ich schon vor zwei Jahren bei Tschaikowsky gedacht).
Weitere Besprechungen: „Hic Berlin, hic salta“ (Hundert11), „Keine Angst vor Kassengift“ (Luehrs-Kaiser), „Am Wörthersee scheint keine Sonne“ (Udo Badelt)
Im Ernst? Karajan?
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Will ja nichts sagen, aber die Staatsoperabsagen von Garanca (Samson) und Harteros (Tosca) habe ich vor schon vor sechs Monaten mit klinischer Präzision vorausgesagt. Und Pape hatte offenbar nie vor, wie im Jahresprogramm annonciert in Berlin König Heinrich zu singen. Denn Ende April ist Papes Terminkalender voller Wientermine.
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Na und ? das ist Globalisierung.
Wenn man Jonas Kaufmann als Radames sehen will, fliegt man nach Paris oder München. Da gibt es mitunter Sternstunden des Theaters, manchmal auch nicht.
Und wo habe ich Rene Pape am besten gesehn ? In Basel und New York. Hier in Berlin sagte mein Schwiegervater nur zur Frage „wer war der Bass“ ? ja Hausbesetzung halt
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Das muss nichts heißen. Muss Januar / Februar 2019 gewesen sein, als Pape abwechselnd in Berlin Orest und in Wien oder München sang und jeden Tag hin und her geflogen ist.
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Basel war so ca. 1998, oder so. Don Carlos, Inszenierung von Ruth Berghaus. Der Rene war damals noch ziemlich unbekannt, und sang seine Arie grandios. Aber alle saßen auf einer schiefen Rutsche, die im Nichts oder Bühnengraben endete…
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Die guten Sänger gehen meist zuerst nach Wien, denn da können Emotion und Ratio und auch vielleicht die Wirklichkeit noch übereinstimmen. Im rationalen Zentrum Berlin ist das kaum möglich.
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Trösten Sie sich, Schlatz. Ich habe den Landgraf Hermann zuletzt an der Met mit Kurt Moll in der Inszenierung von Otto Schenk gesehn. Es war so ungefähr wie ein König Heinrich, das machte keinen Unterschied.
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Mich hätte mal eher der Brahms-Zyklus mit Barenboim interessiert, den es schon lang auf Platte gibt.War der mit der Staatskappelle oder den Wienern oder wem ? Im Musikunterricht der 13. Klasse haben wir Brahms 4. mit Fuge am Ende auseinandergenommen.
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Oder Passacaglia. Whatever.
s’ko scho sei. Sogt dr Bondlkramer.
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Es gibt auch noch die Brahmss’schen Haydn-Variationen von Friedrich Gulda und Joe Zawinul, der eigentlich Jazz-Musiker war, und die zusammen einen ganz besonderen, unklassischen Klang entwickeln :
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irgendwie erscheint mir das Putin-like
voller Gefühl, und jeder der’s glaubt, wird es sofort abnehmen
Maskirovka
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Weiß jemand, wie ein Lohengrin von David Butt Philip einzuschätzen ist?
https://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/production/lohengrin.1301688
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Ich mag die Oper eigentlich nicht. Zu viele Chöre…
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Rente für Rigoletto!
Was taugt die Deutsche Oper? Ein Blick auf den Spielplan – vor der nächsten Opernstiftungsrunde FREDERIK HANSSEN
Hans Neuenfels ist kein Fan des Repertoire-Theaters. In einem Interview hat der Regisseur jüngst gefordert, alle Inszenierungen, die er für die Deutsche Oper Berlin geschaffen hat, wegzuwerfen. Weil die alten Produktionen zu schlecht geprobt auf die Bühne gebracht würden. Die Wiederaufnahmen, so sagte er wörtlich, seien „Scheiße“.
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