Eines der prominentesten Corona-Opfer im kulturellen Berlin derzeit ist die Aida an der Deutschen Oper. Gelitten, triumphiert und gesungen wird an der Bismarckstraße nämlich nur konzertant, aber immerhin mit allen Nummern und Chören.
Ich habe lange keinen Live-Verdi gehört und noch länger keine Aida. Und, ecco, die letzte Vorstellung der Wiederaufnahmeserie gewährt ersprießliches Hörvergnügen. Das liegt an der Besetzung, aber auch am Orchester. Das wird von Bisanti zwar alles andere als hinreißend geleitet. Aber die Bläser haben schöne Stellen am laufenden Band, und ein eigener Verdi- oder besser noch ein eigener Aida-Klang ist durchaus vernehmlich. Und Ensembles und Finali haben Feuer. Ich hätte mir mehr Tempo gewünscht. Konzertanter Oper tut eine Prise Raschheit stets gut.
Einen feinlasierten, vornehm zurückhaltenden Sopran besitzt Guanqun Yu als Titelheldin (Kleid in tiefem Sehnsuchtsblau). In der großen Szene im ersten Akt liegt der Chinesin das Flehen des Cantabile besser als das leidenschaftliche Rezitativ. In den Gefühlshöhen des Nilaktes glänzt sie. Einmal, in einer der Haarnadelkurven der Romanze in Akt III, kommt sie ins Schlittern. Ein ansonsten makellose, anrührende Interpretation. Mit Verve und Feingefühl bringt der heutige Radames (Stefano La Colla) beides unter einen Tenor-Hut: den virilen Kämpfer und den empfindsamen Liebhaber. La Colla (förmlicher Frack) ist mit aufregend genauem und textdeutlichem Singen präsent. Für Celeste Aida hat er einen feinen Piano-Schluss (das macht und kann nicht jeder so) und für den Nilakt italienisches Temperament ohne manche italienische Tenor-Unart (à la Sartori).

Was wäre eine Aida ohne deren Intimfeindin Amneris? Die mimt Anna Smirnova im flammend roten Outfit. Smirnova kommt immer besser Fahrt. Den Willen zur (Liebes-)Macht beglaubigt sie mit brodelnden Mezzo-Tiefen und saftig-gutturalem Klang. Bis zu ihrem Fluch gegen die empia razza der Priesterkaste hält sie die Spannung. Für den Krieger-König und herrischen Vater Amonasro legt sich Michael Bachtadze metallisch ins Bariton-Zeug, spendet dafür im Duett viel raues Legato. Autoritatives Pathos hat Patrick Guetti für den Pharao parat (irgendwie hallt sein voluminöser Bass anfangs). Byung Gil Kim verkörpert eindringlich den finsteren Eiferer Ramfis. Hörenswerte Stimmen kommen vom Tenor-Boten (Andrei Danilov) und von der Sopran-Oberpriesterin (Valeriia Savinskaia).
Nach der Pause, wenn die Entscheidung über Liebe oder Hass, Tod oder Leben fällt, hat das konzertante Format durchaus seine Meriten. Andere Verdi-Opern prunken mit dramatischen Finali. Aida hingegen wird immer stiller, lyrischer, intimer – ohne an Tragik einzubüßen. So hört man In der Deutschen Oper immens feine Duett-Kunst. Aber erstem und zweitem Akt fehlen heute schon dekorativer Aplomb und gloriose Massenszenen. Auch manche Chöre wie die Anrufung des Fthà durch die Sacerdotesse e Sacerdoti oder der Sklavenchor des 2. Akts hängen ohne szenischen Unterfütterung in der Luft.

Live, aber eben auch konzertant unterhalten werden wollen heute Abend meinem Eindruck nach vorwiegend die hartgesottenen Berliner Melomanen. Der Saal ist spärlich gefüllt. Wer weit vorne sitzt, hat das Gefühl einer Privatvorführung. Dafür sind die ausgerufenen Brava und Bravo erstaunlich zahlreich und leidenschaftlich.
Es wird langsam wieder, konzertant finde ich mit der Zeit immer besser, man muss sich wenigstens nicht über unmögliche Regien ärgern.
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Immenso Phtah !
Pensa, che un popolo, vinto, straziato
per te soltanto risorger puo
oder so
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Insano! Ed io quest’angelo osava maledir!
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