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Hallo Musikfest! Was wird gespielt 2021? Strawinsky, vor allem der späte. Wobei Seitenstränge zu Barock und zeitgenössischer Musik führen. Heuer ist die mediale Einbettung wirklich üppig. Streams in der Concert Hall, Radiokonzerte auf DLF und ein On-Demand-Dienst auf der eigenen Seite sorgen für digitales Dabeisein auch ohne Anwesenheit. So etwas nehme ich immer gerne in Anspruch. Und ähnlich wie 2020 gelingt in der Corona-Ausgabe Nr. 2 des Musikfests eine aufregend straff programmierte Festivalausgabe.

Freilich kocht auch das Musikfest nur mit Wasser und kauft wie anderswo die tourenden Orchester mitsamt Programm ein, das dann eben auch mal von der Stange kommt. So kann man den einen oder anderen der hiesigen Festivalbeiträge auch identisch in London, Hamburg oder Luzern hören. Präziser gastieren die kleineren Ensembles. Das Ensemble Musikfabrik aus Köln präsentiert seine zwei Sonntagskonzerte (Cleare, Poppe) eben nur in Berlin.

Benjamin, Mahler Chamber und die Pianistin Stefanovich

Es geht los mit dem Konzert des Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von George Benjamin. Ich höre via Digital Concert Hall. Hilfe, die Briten kommen! Oliver Knussens The Way to Castle Yonder kondensiert Material aus dessen lustiger Tieroper Higglety Pigglety Pop! zu einem sicher komponierten, angenehm leichtfüßigen Potpourri (1990). Danach die nie enttäuschende Begegnung mit Musik von Henry Purcell, hier mit dessen Fantazias and In Nomines: Three Consorts, usprünglich für Gambenensemble, hier in einer Bearbeitung für Kammerorchester. Dann zwei lähmend lange Umbaupausen samt Klavierlift, heuer auch noch ohne Halbierung durch eine Pause. Aber dann gehts an’s Eingemachte. Tamara Stefanovich spielt Strawinskys klare, präzise-beiläufigen Movements tadellos, und die Musiker präsentieren das alles vorzüglich, lebhaft, nervös. Denkbar knapp das alles. Minimalismus zum Verlieben. Man gäbe einiges, könnte man Strawinskys drei Werke für Klavier und Orchester (Konzert mit Bläsern 1925, Capriccio 1929, Movements 1956) mal mit Rubinstein oder Horowitz hören.

Neugierig bin ich auf das Concerto for Orchestra vom Dirigenten des Abends, das ist eine deutsche Erstaufführung. Die entpuppt sich als 16-minütiges Klangkondensat, das durch Perspektivvielfalt und klangsinnliche Geschmeidigkeit gefällt. Nur der Kitzel düsterer Bedeutungsschichten geht ihm ab. Weshalb man danach Strawinskys fast zu oft gespielte Pulcinella hört, die die hiesigen Orchester vielleicht doch fesselnder draufhaben, erschließt sich mir nicht. Warum nicht mehr von diesem verrückten Briten namens Knussen?

Stefanovich und Jurowski / Foto: Livestream Digital Concert Hall/Berliner Philharmoniker

Das RSB spielt am Samstag vier Mal was Kleines vom Zaren Igor (so Honegger über Strawinsky) und ein Mal was Großes von Hindemith. Wenn die Symphonies für Blasinstrumente von 1920 herb, schmucklos, tollkühn daherkommen, dann ist das Neoklassizismus vor dem Neoklassizismus. Jurowski fasst sie marmorrau an, aber durchaus nicht ausdrucksspröde. Roth machte das vor einiger Zeit bei den Philharmonikern zeichnerischer. Auch die Ballade Abraham und Isaak (1963) ist ein kleines Stück, aber keine Kleinigkeit. In ihr vollbringt die Handvoll begleitender Instrumente wahre Klarheitswunder. Während Georg Nigl den hebräischen Text aus der Genesis feinsinnig zurückhaltend singt. Kluge Festival-Dramaturgie sei Dank: Nach den Movements von vorgestern folgt heute das Klavierkonzert mit Blasinstrumenten (1924). Da fällt so einiges auf. Diese Stücke sind so schwierig-leicht zu hören, das ist der Wahnsinn. Musik wie der erste Satz mag Schönberg zu seinem gehässigen Bonmot vom kleinen Modernsky inspiriert haben. Das Largo beginnt mit einer Melodie von so hölzerner Banalität, dass die Kadenz-artigen Solopassagen, die Tamara Stefanovich zum Erweichen spielt, wie ein Schock wirken. Dann kommen die unvergleichlichen Hornrufe (robust intoniert), und alles, was folgt, ist großartige Musik ohne irgendwelche Ambitionen, als die, unheimlich gut zu sein. Zu Beginn erwischt das Blech nicht den besten aller Tage.

Jurowski am Samstag, Musikfabrik am Sonntag

Drei Mal Strawinsky reicht? Denkste. Nach der Pause geht es mit den Orchestervariationen Aldous Huxley in memoriam von 1964 weiter. Es gibt kaum absichtslosere Musik, klar wie Wasser, leicht wie Luft, wunderbar zeitlos. Ihr anderen Berliner Orchester, bitte spielen! Und dann? Kommt Mathis der Maler. Da hört man, dass Jurowski das Verstaubte von dieser Musik wegpustet. Hindemith wird Anfang der 1930er ja plötzlich zu einem konservativ komponierenden Fortschrittlichen. Jurowski löst das Musikantische in einen alles überwölbenden Musizierfluss. Lässt die Linien in weiträumig vorbereiteten Höhepunkten aufstrahlen. Dämpft eher. Süßelt nichts hin. Zeigt, wie die Choralschwere Hindemiths auf die Einleitungen von Symphonies und Klavierkonzert verweist. Schön das Duett von Oboe und Flöte in Teil zwei. Warm die Streicher in Teil drei. Der Mathis hat es heutzutage schwer, weil er nicht die selbstverständliche Komplexität von Bartóks Werken der 30er und 40er besitzt. Aber so Allüren-los vorgestellt, höre ich den altdeutschen Brocken mit Vergnügen. Auch dieses Konzert höre ich im Livestream.

Jurowski: letzte Takte Hindemith / Foto: Livestream Digital Concert Hall/Berliner Philharmoniker

Am Sonntagvormittag bin ich beim Porträtkonzert der Musikfabrik in der Philharmonie vor Ort. Ob die FFP2-Maske auf dem Platz wirklich von Anfang bis Ende getragen werden muss, wenn ich mit sechs weiteren 3G-Musikfreunden ziemlich verloren in C rechts sitze? Poppe sagt ab, der einspringende Dirigent wird unverständlich angesagt, online steht auch 24 Stunden später nur Poppe. Das geht besser. Fünf Werke der Irin Ann Cleare spielt das Ensemble Musikfabrik. Es sind Werke der minimalistischen Gesten und leisen Strukturen. Aber das Konzert ist für mich eine Enttäuschung. Hörenswert sind nur das erste und letzte Werk, mire…veins von 2013 und on magnetic fields von 2012. Bei beiden liegen die wichtigen Dinge unter der Oberfläche, so dass alles, was zählt, erst jenseits des Gehörten beginnt. Im Ohr bleiben besonders die untergründigen Reibungen der Blechbläser in mire…viens. Dagegen fallen ore (2016), fossil ligths (UA) und the physics of fog, swirling (2019) ab. Alle drei nehmen durch geheimnisvolle Atmosphäre ein, bleiben aber blass. In ore ordnen sich vier Streicher um grell insistierende Klarinettenrufe. Insgesamt zu wenig. Bei fossil lights nehme ich einfach mal an, dass beschrieben wird, wie der Wind durch den Dachstuhl eines irischen Hauses pfeift. Zu zäh, zu lang. Aaron Cassidy dirigiert übrigens. Das Ensemble Musikfabrik hat den Namen auf seiner Seite. Das Ensemble stellt auf seiner Seite übrigens auch jetzt noch hyper-hörenswerte Lockdown-Tapes bereit. Extrem gut zum Hören beim Abwaschen.

Weiter geht es heute mit Staatskapelle/Argerich und am Donnerstag mit Saunders/Webern.

Weitere Kritiken zum Musikfest: Inselig (Hundert11 zu Echoes of Silence und Musikfabrik), Chamäleon des Klangs (Wolfgang Schreiber zu RSB, Concertgebouworkest etc.)