Auf in die Salome von Hans Neuenfels in einer Besetzung, die im Wesentlichen die der Premiere ist.
Diese kühle, geheimnisvolle, sehr genaue Regiearbeit zählt zu den derzeit triftigsten zwischen Spree und Havel, Panke und Teltowkanal.
Die Salome der Ausrine Stundyte ist ein furchtbar erkaltetes, egozentrisches Menschenkind. Dieses böse Kind ist lasterhaft, aber es ist auch wiss- und liebesbegierig. Die Stundyte macht das enorm fesselnd. Ihre Mimik, Gestik, Körpersprache sind nah dran an den Rissen und Klüften, die Partitur und Textbuch durchziehen. Ihr Sopran ist ein punktgenaues, kühles, stets bestimmtes, dabei federleichtes Instrument. Frau Stundyte legt jedes Wort auf die Goldwaage – auch wenn das Deutsch nicht perfekt ist. Resonanzarm ist die untere Lage: Es ist wie eine Gruft klingt nicht nach Gruft. Und die Spitzentöne müssen erkämpft werden.
Sie werden aber alle erreicht. Einiges spricht die Litauerin fast, besonders nach dem Kuss. Jochanaan Thomas J. Mayer, den die Salome nur als Toten „bekommt“, ist ein Prophet in voller Manneskraft, ein Asket, der auch ein wildes Tier ist, und der dieses Fast-Erliegen vor der Versuchung packend spielt, mit weiß gekalktem Oberkörper, und packend singt, mit fest vibrierendem Bariton, der nicht über Tiefenschwärze verfügt, aber heldisch tönt – nicht durch Volumen, sondern durch intensive Tonkonzentration.
Als Tetrarch fährt Vincent Wolfsteiner einen strahlstarken Tenor auf, der wenig differenzierte Ausdruck verfängt indes wenig. Das macht die Herodias, mit der man in dieser Inszenierung Mitleid haben kann, weil sie immer und überall zu kurz kommt, besser. Die unglaublich schlanke Marina Prudenskaya steckt im körperengen Glitzerfummel und mimt eine Herodias, die sich pausenlos in hämischer Frotzelei ergeht, und wie sie diesen Abnutzungskleinkrieg spielt, wie sie aber auch angstvoll vor Jochanaans üblen Verwünschungen erzittert, das hat entschieden was. Prudenskayas Spitzen sind genuin dramatisch und sitzen. Keine Salome ist vollständig ohne den verliebten Narraboth, den Peter Sonn hier und heute einmal männlich lebhaft singt, und nicht wie sonst meist jünglingshaft schwärmerisch – gut.
Meiner Meinung nach fehlte das übliche Gezeter der Juden, nachdem Herodes Salome den Vorhang des Allerheiligsten anbietet. Das Libretto sagt an dieser Stelle immerhin Oh! Oh! Oh!
Als Page mit Pagenkopf lässt sich Annika Schlicht mit schwervollem Mezzosopran hören (Wie eine Frau, die tot ist. Sie gleitet langsam dahin). Ist dieser Pagenkopf, der zweifellos ein Witz des Regisseurs ist und dessen Blondhaar wie ein aufgequollener Pfannkuchen auf dem Kopf sitzt, nun extrem unkleidsam oder doch geheimes Symbol der gesamten Inszenierung? Für die männlichen Nebenrollen fährt die Staatsoper alles auf, was Ensemble und Gastengagements hergeben.
Das Quintett der zeternden Juden machen Ziad Nehme, Michael Smallwood, Matthew Peña, Andrés Moreno García und David Oštrek zu hochexpressiver Musik, wobei die femininen Rockschöße flattern und die lackschwarzen Frisuren jener Lacktolle ähneln, die der Prinzessin von Judäa so sehr steht. Die Außenseiter, mahnt uns Neuenfels, an ihrer Haartracht sollst du sie erkennen! Mit salbungsvollem Gesang durchmessen die Nazarener von Adam Kutny (adrett nackengelocktes Haar) und Ulf Dirk Mädler (schlohweiß) ihren Part. Fehlen noch die Soldaten von Arttu Kataja und Erik Rosenius. Erfrischend der Megakurz-Auftritt des Sklaven von Ireene Ollino (Prinzessin, der Tetrarch ersucht Euch, wieder zum Fest hinein zu gehn).

Thomas Guggeis dirigiert, der ausschaut wie ein frisch promovierter Musikwissenschaftler. Was nichts gegen die Qualität des Dirigats sagt. Wie von Zauberhand sind kristallklare Beweglichkeit und eine kaltfunkelnde Plastizität „da“, und bieten nebenbei dem Morbiden und Allzu-Lasziven der Salome die Stirn. Die Souveränität des Dirigats ist erstaunlich. Ist etwas zu beanstanden, dann die Lautstärke, vor allem weil Stundyte kein dramatischer Sopran mit entsprechender Durchschlagskraft ist. Was aber Guggeis sonst an filmreifer Flüssigkeit, an kühler Farbigkeit, an fast zu selbstsicherem Zugriff (Schleiertanz) aus dem Staatsopernorchester hervorkitzelt, ist hoher Strauss-Ehren wert. Hier ist jemand, der aus der Staatskapelle einen Klang holt, der so gut wie nichts mit dem von Barenboim präferierten Klang zu tun hat. Und doch passt alles. Ist der Typ wirlich 26?

Der Saal ist schlecht verkauft. Ist der Ruf von Neuenfels‘ Meisterinszenierung in Berlin so schlecht?
Interessant ich war in der Wiederaufnahme am 4. 12. und da gab es Buhs für Stundyte und Guggeis, wobei mir die für Guggeis nicht richtig klar wurden, aber Stundyte hatte einen schlechten tag und hatte in der Höhe deutliche Problem, traf Noten nicht richtig, der ein oder andere Ton kam gequetscht. Freut mich für sie, wenn sie jetzt gut in Form war. Dafür war Thomas Mayer sehr stark. Die Inszenierung überzeugt mich immer noch nicht recht. Zieeeemlich einseitig, ziemlich künstlich.
Ja, ja, ja. Herr Guggeis war wirklich sehr gut.
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Bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich über Dirigenten geurteilt wird. Ich saß nun zum 3. Mal im Samson und neben mir saß ein Paar (er-er), die sagten, Oh nein, jetzt dirigiert auch noch Barenboim. Aber bei Zauberflöte kam mir Guggeis auch platt vor, wobei bei Mozart die Urteile noch weiter auseinander gehen, je nachdem ob mans Originalklang-kurzatmig-kurzphrasiert-orientiert oder symphonisch-klassisch mag. Bin auf den Figaro mit Minkowski gespannt und vielleicht bekommt die Eun Sun Kim bei Tosca ja mal die Biege. Sonst fand ich bislang nur Salemkour mittelmäßig, hab aber eigentlich nur Barenboim und Guggeis gehört.
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Fand Mayer am Dienstag etwas schwächer, war gegen Schluss irgendwie nicht bei voller Kraft. Ist aber auch ein Grundübel fast jeder Inszenierung, dieses Singen aus der Zisterne bzw. hier der Rakete.
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Sie gehen zuviel in die Oper.
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Oh, geniales Foto von er Partitur: Haben Sie im Orchestergraben zugehört?
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Übrigens war auch die Wiederaufnahme schlecht besucht. Am 3. Advent ist es besser besucht
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War bei der Salome am 4.12., hab aber nichts drüber geschrieben. Drei Tage nach Tristan hat Salome was Vulgäres, so großartig sie ist. Neuenfels‘ Regie ist die reine Wohltat, was Personenführung angeht, richtig altmeisterlich. Gedanklich find ich den Gewinn nicht so dolle, was bringt die Oscar Wilde-Chose? Sängerisch fand ichs gut, mit Abstrichen bei Stundyte (ausgerechnet), Prudenskaya ist klasse. Guggeis vielleicht etwas krachig, aber der kann schon was.
Ja, nicht viele Leute da auch bei meinem Besuch, gibt einem doch zu denken, ist ja nicht irgendeine Oper.
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Jaja, der Oscar-Wilde-Schriftzug ist überflüssiges Selbstzitat. Aber die Wilde-Figur ist doch spannend entwickelt, bspw wie er den J. aus seiner Rakete zerrt und dann der Tanz, der fasziniert wie selten ist.
Ich find es immer wieder erstaunlich, wie bahnbrechend die rezitativischen Partien, besonders von Herodes und Herodias sind. Im Wesentlichen beherrscht die hier von Strauss „erfundene“ Art des Singens das ganze 20. Opern-Jahrhundert.
„was Vulgäres“ find ich gar nicht.
Hat die Tristan-Oper nicht auch was Vulgäres mit ihrer als Allheilmittel gegen quasi alles vom Komponisten selbst angepriesenen Metaphysik der Liebe, dem dicken Orchester und dem ganzen Rumgestammel?
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Ich hab die Salome nur ein einziges Mal gesehen, vor ca. 30 Jahren an der Deutschen Oper. Von wem inszeniert und wer gesungen hat, ist mir entfallen. Vielleicht Ute Walther. Damals war mein Schluss : gefällt mir nicht, Elektra ist besser, gehe ich nicht mehr hin.
Nun habe ich vor kurzem die Salome aus Salzburg gesehen, und ich muß sagen : gefiel mir. Ein netter Familienstreit, fast ähnlich wie die Elektra.
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Die schlimmste vollgeschriebene Partitur, die ich je gesehen habe, war die von Daniel Oren, Direktor der Oper von Salerno, in Tosca. Da standen in der Deutschen Oper tatsächlich auf jeder der zwei Seiten, die da aufgeschlagen waren, 20 Anmerkungen „hier nicht zu schnell“ „gefühlvoll“ „genau“ „langsam“
Das ist halt der Unterschied zwischen den großen Dirigenten wie Barenboim oder Thielemann, daß die den Tristan auswendig dirigieren und dann auch was draus wird. Die andren machen das mit dem Kopf, stückweise. Meinem Sohn sage ich immer : Du und ich, wir sind keine genialen Mathematiker, also löse die binomischen Formeln schrittweise, dann kommt auch das richtige heraus. So wie Daniel Oren.
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Und was den Oscar Wilde angeht :
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Ich finde, daß Domingo auf der rechten Seite ist, wenn er sagt, er ist sich keiner Schuld bewußt. Warum auch ?
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Domingo losing his mind…
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ma Banquo ?
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mehr kann ich nicht singen
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