Saison zu Ende, Soll erfüllt. Das Premierenfüllhorn der Deutschen Oper ist ausgeleert, zwischen Belcanto und Zwölftonmusik gab es (meist) erstklassige Opernware abseits des Repertoire-Mainstreams. Hut ab!
Mit Hamlet, der Shakespeare-Adaption von Ambroise Thomas, kommt ein weiteres Repertoire-Bijou zur Aufführung, konzertant, ausgezeichnet besetzt, fein musiziert. Der Applaus ist überschwänglich.
Die Deutsche Oper Berlin hat – klug gemacht – die Hauptrollen zu einem großen Teil mit frankophonen Sängern besetzt. Die legen sich ins Zeug, allen voran Florian Sempey, der als Dänenprinz Hamlet die Verve für den kraftvollen Lyrismus der Rezitative und viel Gefühl für die wehklagenden Arien mitbringt. Sempey (dezenter Louis-Quatorze-Mantel, wallendes Poussin-Haar) hat eine 100 Jahre alte Partitur bei sich (die von Tito Ruffo?), gestikuliert mit dem edlen Feuer eines französischen Orators.
Natürlich stiehlt der Schmerzensengel Ophélia dem Titelhelden ein bisserl die Schau, das war schon bei der Pariser Uraufführung 1868 so. Diana Damrau (gehüllt in hauchdünn wallende Signalfarben) singt souverän, mit schmeichelnden Piano-Tönen und sopranvoller Höhe, bei Spitzen lässt sie ihrem Temperament gern mal (und für meinen Geschmack ein paar Mal zu oft) burschikos den Vortritt vor der Technik. Zwar klingt ihr Sopran nicht mehr mädchenhaft chaste et pure, doch mit dieser kontrolliert sinnlichen Stimme, die sich als verschwenderisch reich an Zwischentönen und Kolorierungen erweist (diese Stimme kann lachen, schmeicheln und locken – aber nicht trauern, oder wenn, dann theatralisch trauern), zaubert die Damrau eine Person mit viel Herz und Seele auf die Bühne.

Nicolas Testé als Claudius fügt sich als Bass mit kernigem Volumen und feinkörniger Schwärze nahtlos ein in die achtbare Riege der Protagonisten ein. Philippe Talbot singt die elegante Arie des Laërte Pour mon pais weich wie einen Frühlingshauch. Och, ist es befriedigend, dies schöne Stück von einem Franzosen zu hören. Hamlets Mutter Gertrude findet schließlich in Ève-Maud Hubeaux eine Vertreterin von vokalem Format. Frau Hubeaux (hautenger, bodenlanger Glitzertraum in Violett plus Hochsteckfrisur à la Alma Mahler) führt einen charakteristisch timbrierten, wendigen Mezzosopran, der sich als aufregend ausdrucksfreudig erweist. Ihr Arioso Dans son regard – sie vertraut Ophélia an, dass ihr das Wesen ihres Sohns Hamlet verschlossen bleibt – zählt mit dunklen Mezzo-Tönen und spontaner Eloquenz zu den Höhepunkten des Abends.

Thomas‘ Hamlet ist für mich Opern-Terra-incognita. Ich lasse mich schnell erobern. Hamlet ist entzückend. Geschmeidig und luftig präsentieren sich die Melodien, die Textur ist leicht, die Oper zeigt keinerlei Einfluss Wagners, das Blech tönt noch wie bei Schumann oder Berlioz, weiß noch nichts von der pathetischen (und egoistischen) Weltabgewandheit der Spätromantik. Die Struktur ist allbekanntes 19. Jahrhundert: 5 kurze Akte, gegliedert in Szenen aus Rezitativ plus Arie, Arioso bzw. Kavatine oder Duett, selbstverständlich gibt es eine Preghiera (Gebet), ein Brindisi (Trinklied) sowie zwei große Chorfinales. Die ersten zwei Akte wirken zumindest in konzertanter Aufführung kleinteilig. Erst der dritte Akt gewinnt mit dem Terzett von Hamlet, Gertrude und Ophélia dramatische Plausibilität.
Auch die Nebenrollen sind adäquat besetzt, wenn auch nicht mit Franzosen. Andrew Harris gibt bassig-dunkel den Geist von Hamlets Vater, Hamlets treue Freunde Marcellus und Horatio singen Andrew Dickinson und Thomas Lehman, den Polonius verkörpert Byung Gil Kim (gut nuanciert), Philipp Jekal (etwas direkte Stimme) und Ya-Chung Huang singen die beiden Grabräuber.
Der Chor hat beim hochheiklen Nargue de la tristesse im 1. Akt seine Problemchen, schallt aber ansonsten sicher und fest. Yves Abel kennt die Partitur, leitet klar, vermag wohl auch die Musiker mit seiner Begeisterung mitzureißen. Das Orchester der Deutschen Oper findet unter Abels Leitung zu lockerem, wenn auch in den Hofszenen nicht immer spritzigem, doch charmantem und hinreichend melancholischem Spiel, dem manches traurige Hornsolo untergemischt ist.
Der gut gelaunte Yves Abel scheint mehrmals überrascht von der Stärke des Applauses. Bei weitem nicht ausverkauft.
Weitere Kritiken und Berichte: Schwüre auf leichten Schwingen (Hundert11), Ende gut, alles gut? (Kai Luehrs-Kaiser), Auf dem Weg zum Campari-Cocktailempfang (Manuel Brug), Tolldreiste Musik, illustre Stimmen (Andre Sokolowski)

Der krönende Abschluss dieser wirklich großartigen Spielzeit, der besten seit zig Jahren.
Die langen stehenden Ovationen sprachen für sich und waren voll verdient, alle, aber wirklich alle waren einfach hinreissend
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Dafür war der Applaus länger und lauter als bei jedem vollen Haus. Beeindruckend.
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Das ist ja jedenfalls ein Trost. Was ist nur mit den Berliner Opernbesuchern los, so ein Ereignis wird fast ignoriert, aber der recht flaue Rigoletto an der Staatsoper ist ausverkauft.
Ich freue mich jedenfalls auf morgen Abend
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Würde heute noch mal gehen, aber 44 € für 7. Reihe 2. Rang für einen zweiten Besuch… für eine Premiere oder nicht konzertante Vorstellung ist das OK, aber… Naja. Viel Vergnügen.
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Da haben Sie natürlich auch wieder recht..
Danke…….
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Ohhhh freu auf Samstag..
Tja mit dem vollen Haus …. Was ist los mit dem Berliner Opernpublikum?? Otello nicht voll, jetzt trotz Damrau nicht voll, was wollen die jeden Tag Zauberflöte oder Boheme???
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