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Eine gute Premiere an der Deutschen Oper. Eine opernhaft tragische Geschichte, 80 Minuten genial traumtänzerische Musik, ein Sängerteam, das ordentlich auf die Tube drückt, und eine kluge, sehenswerte Inszenierung.

Von der vibrierenden Musik bleiben große Eindrücke. Der silberne Klangzauber der ersten Chorszene, die farbenenthusiastisch lärmende Turbulenz der Haushofmeisterszene, das fahle Verstummen des Schlusses, das ist reich instrumentierte Musik nah am glühend dramatischen Puls, strausshaft beseelt und pucciniesk überhaucht, aber immer mit den Figuren leidend. Donald Runnicles agiert mit Übersicht, meistert die rasante Buntheit der Partitur, tendiert zum Kompakten, wo Zemlinsky harmonische Raffinesse wollte, dickt ein, wo Zemlinsky Fieber im Sinn hatte.

Alexander Zemlinsky Der Zwerg Deutsche Oper Berlin

Der Zwerg vereint altbekannte Thementendenzen. Ob kecke Königstochter aus Salome, ob der Haushofmeister aus Ariadne, ob buckliger Alviano aus Schrekers damals vielgespielten Die Gezeichneten, all das schimmert hindurch. Aber Zemlinsky macht etwas Neues daraus. Die Handlung ist folgende. Die Infantin Donna Clara bekommt zum 18. Geburtstag einen verwachsenen Zwerg geschenkt, der singen kann und sich sogleich in sie verliebt. Sie, ein eitles Luxus-Geschöpf, spielt mit ihm. Er fängt Feuer. Die Infantin begreift, dass er sich seiner Hässlichkeit nicht bewusst ist. Sie befiehlt der Zofe, ihm den Spiegel vorzuhalten um die Wahrheit des Hässlichen ans Licht zu bringen. Es geht tragisch aus.

Was macht Regisseur Tobias Kratzer mit dem feinsinnigen, tieflotenden Psycho-Märchen über die zerstörerische Kraft der Wahrheit? Ein intimes Kammerspiel in einer Bühne, die ein strahlend weißes Konzertpodium darstellt (Rainer Sellmaier), Stühle und Pulte, zwei Harfen stehen bereit, der Vordergrund ist leer, hinten eine Konzertorgel, in der Höhe eine umlaufende Galerie, auf Sockeln gipsweiße Büsten. Der Clou der Inszenierung an der Deutschen Oper ist, dass der Zwerg ein echter ist (Mick Morris Mehnert), aber von einem Tenor gesungen wird, der anfangs an der Seite vorne am Pult singt, sich aber im Laufe des Abends immer mehr ins Geschehen einmischt. Der distanzierte, kühle Zugang Kratzers verhindert, dass Mitleid die Oberhand gewinnt vor Schau- und Ohrenlust.

Der echte und innerliche Aktionsradius der Figuren ist groß. Die Infantin als kokettes Palastmädel, der gegen alle Wahrscheinlichkeit und in all seiner Verblendung todernst liebende Verwachsene, die bekümmerte Zofe Ghita, die scharfzüngige Party-Hofgesellschaft, das alles fügt sich zu einer geradlinigen, alle Nuancen freisetzenden Parabel um Künstlerschicksal und jene Wahrheit der Selbsterkenntnis, die tödlich ist.

Als pantomimisch unterfütterte Ouvertüre dient Schönbergs geniale Lichtspielmusik, zu der Kratzer dem Zuschauer Zemlinskys und Alma Schindlers (und bald Mahlers) Leidenschaft im Rahmen einer Klavierstunde vorführt. Verleiten Auftritte von Komponisten in von ihnen komponierten Opern nicht allmählich zum Gähnen? Wann ist diese Mode aufgekommen? Vor einem halben Jahrhundert? Bei Neuenfels? OK, der talentierte Kratzer macht das also auch.

Die Infantin singt Elena Tsallagowa (im kupfrig gleißenden Pailettenkleid) als übermütige junge Frau mit sensibel leuchtendem Sopran, als Kammerzofe Ghita glänzt Emily Magee mit hinreißendem Schwung und zitternder Seele in der intensiven Stimme. Dem Zwerg gibt David Butt Philip lyrische Substanz, die sich auch in den heftigen Ausbrüchen wacker schlägt. Auch die haarsträubenden Sprünge meistert der englische Tenor vorbildlich, schwierig-unangenehm sicherlich auch das larmoyante, hornumschmeichelte Lied von der blutenden Orange. Die (bisweilen leicht nervige) Tragik von Zemlinskys naivem Einzelgänger kontert David Butt Philip mit sachlichem Brio. Den geradlinigen Haushofmeister Don Estoban fasst Philipp Jekal in ein kernig festes Porträt. Die in schwarzen Gouvernantenkleidern steckenden Tuschel-Zofen sind echte Zicken, haben aber schöne Stimmen (sopranflammend Flurina Stucki, kühl-sinnlich Amber Fasquelle – hör ich echt gerne -, autoritativ Maiju Vaahtoluoto). Als Mädchen sind So Young Park und Kristina Häger zu hören. Nicht zuletzt der pastellbunt gekleidete, böse kichernde Frauenchor zieht sich vokal prima aus der Zemlinsky-Affäre.

Die Neuinszenierung dieser hörenswerten Oper (Uraufführung 1922 in Köln durch den großen Klemperer, wiederentdeckt in Kiel und Hamburg, 1977 und 1981) lebt von ihren wunderbaren Protagonisten. Aber genauso von der Klarheit der Regie und der Hingabe des Orchesters der Deutschen Oper.

Foto: Monika Rittershaus


Weitere Premierenkritiken: Arg (Hundert11), Zu harmlos (Kai Luehrs-Kaiser), Alma-Auftrieb mit Nachtmusik (Ulrich Amling), Privat vor Katastrophe (Andre Sokolowski), Der Geburtstag einer großen Oper (Niklaus Hablützel)