Ein paar aufregende März-Tage lang dreht sich im Konzerthaus Berlin viel um Strawinsky. Ein Festival feiert Strawinsky als Fürst Igor, an dessen Stil-Haut alle Qualitätsverluste abperlen wie Regen an Funktionskleidung.

Beim Konzert mit dem nicht fürstlichen, sondern standesgemäß königlichen Concertgebouworkest Amsterdam kommt das Aufregendste am Anfang. 

Dabei ist das zwölfminütige Concerto in D für Streichorchester (1947) ein denkbar unkönigliches, delikat leichtgewichtiges Gebilde. Gibt es etwas Vollkommeneres als dieses simple Andantino-Arioso mit seiner A-B-A‘-Form, diesem Traum aus Rhythmus, Raffinesse, Farbe? Der Klang ist reines Kondensat. Die Concertgebouwler, eine Truppe höchster Könner, stellen eine fabelhaft gedämpfte Transparenz her. Selbst das Pizzicato der Bässe ist melodisch. Die zwei Mal acht Violinen klingen, als bestünden sie aus 16 Solisten.

Das Concerto steht an der Schwelle zum Spätstil, das unverblümt konzertierende Capriccio (1929) ist Neoklassizismus reinsten Wassers, dem das Concertgebouworkest seine wunderbar federnde Plastizität spendiert. Emmanuel Ax dient dem Stück mit sachlichem Spielwitz, sein Zugang wahrt die Mitte zwischen spielerisch und perkussiv. Die Trillergirlanden des zweiten Satzes haben barocke Schwere, etwas nüchtern klingt das durch rhythmisierte Sprünge charakterisierte Thema des dritten. Iván Fischers Leitung führt zu einem klaren Klangbild, knapp gehaltenen Holzbläsersoli, bleibt dem hochraffinierten Leerlauf des Stücks aber das Artistische, Schwebende schuldig.

Die Zugabe – a-Moll-Walzer aus Opus 34 – bestätigt, dass Ax nicht zu den führenden Chopinspielern gehört. Doch man hört Sekunde, Terz und Quart in jener nachsatzähnlichen Stelle der rechten Hand auf der betonten Zählzeit vor der kurzen Drei-Viertel-Figur so deutlich wie selten.

Amsterdam Concertgebouworkest Iván Fischer Strawinsky Konzerthaus Berlin

Der kaum anständig gefüllte Saal zeigt, dass Strawinskys Musik nach wie vor – Sacre ausgenommen – kein Massenpublikum anzieht. Das gilt auch für die böse funkelnde Petruschka-Partitur. Die Preise sind für ein Spitzenensemble moderat, freilich nicht in den untersten Kategorien. Dennoch, Berliner, ist es ein bisserl beschämend, dass die hochfliegenden Spitzen-Holländer, deren Geigen für moderne Musik wohl doch die besten der Welt sind, vor etlichen Leerplätzen spielen.

Amsterdam Concertgebouworkest Iván Fischer Strawinsky Konzerthaus Berlin Abschluss

Nach der Pause ist Schluss mit lustig. Die Musiker leuchten Petruschka überscharf aus. Die Interpretation offenbart modernes Strukturbewusstsein in rauen Mengen. Spaltklang dominiert. Das Interpretationspendel schwingt eifrig Richtung Fassung 1947, weniger Richtung Uraufführungsjahr 1911. Bei Iván Fischer kocht der Topf nicht über. Auch hier wird mit Schwung, Präzision, Spannkraft musiziert, werden Tutti und Solostimmen zart kontrastiert. Doch etwas Akkurat-Nüchternes ist da im Busche, die berühmten Melodien werden wie auf dem Silbertablett gereicht, Bläsersoli klingen als kostbare Exponate. Staunenswert die reaktionsschnellen Geigen, die immer wieder einen Zacken klarer tönen als die der hiesigen Philharmoniker. Erst die glanzvolle Nervosität des 4. Bildes (ab dem Tanz der Ammen, Oboe) reißt mich mit.

Dennoch ein fulminantes Konzert und schön, dass die königlichen Amsterdamer in Berlin Strawinsky spielen.