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Petrenko mit einem interessanten Abend in der Philharmonie Berlin. Für sein Berliner Konzert mischt der Chef in spe sperrigen Schönberg mit triumphierendem Tschaikowsky.
Ich liebe das vertrackte Violinkonzert von Schönberg, habe – Vorbereitung macht den Meister – die Aufnahmen mit Hilary Hahn und Zvi Zeitlin rauf und runter gehört. Und nun klingt das Teufelsstück doch wie neu und nie gehört. Patricia Kopatchinskaja spielt zupackend und zart, lässt ihr feuriges Temperament auf das Spätwerk los. Und macht das sehr solistisch selbstbewusst. Ihre Erfüllungsgehilfen dabei: emphatisches Vibrato, gestische Überpointierungen und ein energisch bürstender Strich. Da brennen die Saiten. Kopatchinskaja mildert so die Strenge der Konstruktion durch deftige Subjektivität. Und hat dann auch den Nerv für verträumtes Singen im 2. Satz.
Die Berliner Philharmoniker sind ideale Schönberg-Partner mit gelöstem Spiel bei differenziertem Gesamtklang. Transparente Tutti und Sotto-voce-Gesten (Andante grazioso) werben für Schönberg. Streicher und hyperwache Holzbläser werfen sich hold die Bälle zu. Dort legt die Tuba Zwölfton-Fährten, hier redet das Fagott (Stefan Schweigert mitreißend genau). Dieser Schönberg hat Charme. Und dann diese Dialoge zwischen Solistin und Musikern. Die sparen nicht mit Artikulationswitz – apart in ihrer knöchernen Fahlheit die kleine Trommel (Final-Allegro). Das klingt alles locker und interpretatorisch dicht.
Den dritten Satz prägen Walzer und Marsch. Der Neoklassizismus wird im Klavierkonzert Schönbergs noch hörbarer sein. Kopatchinskaja steigt hochmotiviert ein. Mir ist’s manches Mal des solistischen Funkelns zu viel. Während der Kadenz zieht Petrenko das Schweißtücherl hervor.
Die Zugabe: von Milhaud Jeu aus der Suite op. 157b für Geige, Klarinette und Klavier in der Duo-Fassung mit dem Haus-Klarinettisten Andreas Ottensamer.

Simon Rattle dirigerte Tschaikowsky so gut wie gar nicht. Petrenko schätzt Tschaikowsky. Das ist gut. Heute also die Sinfonie Nr. 5.
Kirill Petrenko, ganz der filigrane Feinarbeiter, folgt der antiromantischen Linie. Und die Musiker folgen Petrenko, mit perfekt austarierter Klangbalance, knapper Phrasierung, rhythmischer Akkuratesse und dezenter Affektsprache. Das tut dem Werk gut. Bei intensiven Stellen sucht Petrenko mit himmelwärts gerichtetem Blick Beistand bei Tschaikowsky höchstpersönlich. Das Klangbild: sauber, staubfrei, fast spartanisch ausgedünnt. Die Coda des Anfangs-Allegro verklingt im zarten Relief. Stefan Schweigert hat auch bei Tschaikowsky großartige Momente.
Nur die lyrischen Gegenwelten haben es schwer heute Abend. Bedeutungsschwere scheint Petrenko ein Greuel. Auch das lyrische Strömen ist nicht sein Ding.
Jessas, manche Dinge im Andante sind so was von sachlich. Aber dafür tönen Akzente unvergleichlich frisch und feinst austariert. Das Hörnerthema kommt als fast überirdisch leichte Zeile.
Das Tempo ist leicht angezogen, steigert sich im Finale zu fabelhafter Hitzigkeit. Zuvor schon gibt es schöne kleinräumige, wilde Beschleunigungen. Petrenko dirigiert mit Partitur auf dem Pult. Das Finale freilich ist ein Hexenkessel, zwingend in der Abfolge der Themen ohne wahllos zu sein.
Weitere Kritik des Konzerts mit Kirill Petrenko: folgt
Gestern über DLF gehört. Fand das Konzert schon echt gut. Schönberg traumhaft, Tschaikowsky schlank und rank ohne Gefühlsfett und Melancholie-Lebertran.
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Sehr zutreffende Kritik. Hab es im Radio gehört und war verblüfft: man meint immer Werke zu kennen – aber so viel habe ich nie gehört. Und zwar Überzeugendes!
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War wieder ganz entzückt. Beim Schönberg war ich freilich nicht so konzis präpariert wie Sie, Hut ab. Der Tschaikowsky riss mich vom Stuhl. Bei der Fünften bin ich beim Finalsatz immer desto froher, je schneller er vorbei ist. Auch insofern fand ich das Tempo prima.
In dem Jeu-Satz aus dem Milhaud-Trio schweigt das Klavier auch im Original.
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Bin bei Tschaikowsky eher bei Brug, der das Ganze ziemlich nüchtern hört.
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Ja, Brug bringt hier schon eine angenehme Sachlichkeit rein. Gut vor allem, dass er die hyperventilierende biblische Antithese „Heiliger Petrenko als Erlöser vom Verdammten Rattle“ kritisiert. Das ist viel zu aufgeladen. Fühl mir aber ooch jeschmeichelt, dass er unter den „hysterischen Japsern“ mein Blog zitiert…
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Cool!
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Petrenko beyond words. Awesome. Stunning.
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Mir seien als Besucher des Konzerts am Samstag einige kritische Anmerkungen erlaubt.
Der frenetische Jubel in der Philharmonie verwunderte mich doch, aufspringende Leute, Standing Ovations keine zehn Sekunden nach dem der letzte Ton verklungen ist. Geht es noch um Musik oder doch um etwas anderes? Klassik wird eben immer mehr zur Eventbude, da kommt ein hochgejubelter Dirigent gerade recht. Und alle, Medien, Veranstalter, Musiker, die Kritik jubeln mit.
Rattle wurde zu Beginn auch hochgejuchzt, dann ging die Diskussion los, zuerst war es der deutsche Klang, dann das Kernrepertoire, dann sein Brahms, dann sein Beethoven, dann sein Bruckner und wenn man diesen Leuten glaubte so konnte Rattle zuletzt nicht einmal mehr dirigieren. Ich bin gespannt, wann das bei Petrenko losgeht… Dabei spielen erfahrungsgemäß weniger objeaktive Kriterien eine Rolle als die Wünsche und Sehnsüchte des Publikums, die oft genug wenig bis gar nichts mit dem Dirigenten zu tun haben.
Dann wird auch schnell vergessen, dass Petrenko letztes Jahr eine farblose Sinfonie eines Herrn Schmidt dirigierte, dass sein Beethoven uninteressant ist, dass sein Tschaikowsky zwischen anämisch und knalligen Effekten schwankt. IMHO wirkten die langen Pausen künstlich und das geschwinde Finale von Tschaikowsky 5 erinnerte mich lebhaft an die Haffner vor zwei Jahren, wo eine alles in allem solide Interpretation durch ein reißerisch gehetztes Finale kaschiert wurde. Mir kommt das mittlerweile als Masche vor, hat ja vor zwei Jahren funktioniert und deshalb macht er es noch mal.
In Münchner wird Petrenko wie ein Heiliger verehrt, mag sein, dass dem Russen Oper liegt, aber der Münchner an sich neigt aus kultureller Prägung zur Heiligenverehrung. Aber dass in Berlin so ein Bohei um den zukünftigen Chef gemacht wird, macht mich skeptisch. Fällt man hier nicht auf einen pfiffigen Marketing-Gag rein der da heißt Angebotsverknappung? Dirigiert nur 1 Mal pro Saison, dann sind die guten Leut wild auf KP?
Es sollte auch zu denken gaben, dass Kirill Petrenko kaum woanders dirigiert als in Berlin und München. Das Concertgebouw Orchestra beispielsweise hat ihn meiner Info nach seit Jahren nicht mehr engagiert.
Wie gesagt, nur einige kritische Anmerkungen. Petrenko ist sicherlich ein sehr guter Dirigent, der wie alle anderen auch einiges gut kann und anderes weniger gut. Aber ob er die Verzückung verdient hat, die ich am Samstag hörte, steht auf einem anderen Blatt.
VG Linus
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Ich lebe in München, habe Einiges von Petrenko erlebt. Das Konzert im Radio gehört. Dann die Aufnahme von Fricsay 1949 gehört. Hat mehr Feuer, man hört aber weniger Details. Richtig, Petrenko kann (noch?) nicht jeden Komponisten. Aber, bitte, welcher Dirigent kann schon alles? Er wird aber von den Musikern hoch geschätzt, sonst hätten sich die Berliner sicher nicht für ihn entschieden, oder? Und das tun sie nicht wegen seiner ernsthaften Seriösität und seinem akribischen Fleiß, sondern weil er bei Ihnen MUSIK veranlassen kann. Und er ist sicher kein Show-Dirigent, und er blufft auch nicht. Was er macht, tut er mit großer Überzeugungskraft. Selbst wenn es einem mal nicht gefällt. Aber wer kann von sich behaupten, sicher zu wissen, wie ein Werk klingen muss? Sie Herr Mayer? Sind Sie Musiker?
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Tut das etwas zur Sache, ob ich Musiker bin? Jeder, der offene Ohren hat, kann ein Konzert beurteilen oder wollen Sie den 2200 Besuchern der Philharmonie die Urteilsfähigkeit absprechen? Aber ja, um Ihre Frage zu beantworten, ich bin als Amateur sehr aktiv.
Dass Herr Petrenko „blufft“, habe ich nicht behauptet. Aber man kann sich schon seine Gedanken machen, wenn man sieht, wie Petrenko agiert.
Und die Behauptung, dass er kein Show-Dirigent sei, läuft ins Leere. Jeder, der vor einem Orchester steht, zieht in gewisser Weise eine Show ab. Und in Bezug auf Petrenko und Show – da gibt es Leute, die sind diametral anderer Meinung wie Sie.
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