Elektra von Richard Strauss in der Lesart von Patrice Chéreau ist die vielleicht schlüssigste Inszenierung, die an der Staatsoper läuft. Ein Hof, eine seitliche Mauer, worin ein Tor sich befindet, eine über eine Treppe zu erreichende Stufe, dahinter eine raumhohe, apsisartige Eintiefung.

Personenführung und Lichtregie sind klar und unbestechlich genau. Unvergesslich die beiden stumm auf der Apsisbank wartenden Orest und Pfleger. Die Handlung spielt in einer nicht näher präzisierten Gegenwart.

Für die Aufführungsserie steht eine hörenswerte Besetzung bereit.

Ricarda Merbeth springt für Herlitzius ein, vielleicht ist Merbeths Elektra aber doch die hörenswertere. Verständlichkeit, Farbpalette, ein Klang, in dem sich Metall und Menschlichkeit die Waage halten. Ihr Vortrag hat Pathos. Merbeth vermeidet jede Schrillheit, ihre Deklamation ist vorbildlich, dennoch singt sie instrumental, kurz, sie ist heute Abend in bewundernswerter Form, nur in der Schlussszene schwindet ihr die Kraft ein bisserl. Am besten womöglich singt sie die introspektive, auch lyrische Töne verlangende Passage Orest! Orest! Orest! der Wiedererkennungsszene. Darstellerisch wirkt das von der Regie geforderte und von ihr gezeichnete Bild einer Getriebenen, Furchtbaren nicht ganz geglückt, aber wer schlägt in diesem Punkt Evelyn Herlitzius? Vida Miknevičiūtė gelingt als lange, biegsame Chrysotemis ein beeindruckendes Hausdebüt (siehe Kommentar unten). Ihre schlanke, konzentrierte Stimme ist tragfähig bis in die höchste Lage, das Timbre hat einen Tropfen Herbheit, ihre Ausbrüche haben echte Leidenschaft, Miknevičiūtė liegt das Lyrische ebenso wie das Dramatische. Waltraud Meier (Klytämnestra) ist wieder die wache, suggestive Darstellerin, in deren Köcher jede Menge dramatisches Temperament steckt, ihre Stimme, wenn auch schon unüberhörbar harsch geworden, trägt die Rolle, ist aber immer wieder zu leise, wunderbar allerdings ihre Wort-Pointierungen. Als Orest bringt René Pape prachtvolle Autorität und wunderbar strömendes Material ein. Superb die üppige, mit einem Schuss Herbheit versehene Textur der Bassbaritonstimme. Der Vortrag packt durch die untergründige (Gefühls-)Spannung.

Elektra Staatsoper Berlin Barenboim Waltraud Meier, Vida Miknevičiūtė , Ricarda Merbeth

Auch die kleineren Rollen können glänzen. Stephan Rügamer verkörpert einen wortklaren, fast idealen Aegisth. Als Pfleger des Orest rührt der vorsichtig trippelnde Franz Mazura, ganz der starke Greis mit blitzenden Augen des Librettos. Die Aufseherin singt die resolute Renate Behle (74-jährig, Mutter des Tenors Daniel Behle). Die Mägde werden gesungen von Roberta Alexander, die 69-jährig die junge Magd verkörpert, der Elektra leid tut, von Anna Samuil, treffend im Aufschrei (Sind Sie dir nicht hart genug mit ihr?), die energische Marina Prudenskaya, die kraftvolle, auch darstellerisch packende Katharina Kammerloher sowie die machtvolle, in allen Registern eindrucksvolle Altistin Bonita Hyman. Den schnöselhaften jungen Diener singt Florian Hoffmann, den alten Diener Stephen Bronk.

Die Staatskapelle Berlin spielt unter Barenboim soghaft vorwärtsdrängend, farbreich, kammermusikalisch intensiv wenn nötig, lebhaft illustrierend in den deskriptiven Holzbläserstellen, mit höherem Pathos in den Posaunenstellen und von monumentaler Wucht in den Höhepunktstellen.

Die Produktion macht den Eindruck, als gäbe es sie schon ein Jahrzehnt. Zu wünschen wäre, dass Chéreaus Inszenierung die nächsten dreißig Jahre läuft.


Meine Elektra-Kritik zur Premiere: hier lesen!