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Die Staatskapelle Berlin mit Brahmssinfonien. Im Dezember spielt man das Schwesternpaar 1 und 2, im Januar folgen die 3. und 4. Sinfonie.
Sinfonische Rundum-Sorglos-Pakete gehören immer noch zu den nobelsten selbstgestellten Herausforderungen der Orchester.
Auch in Berlin. Rattles Philharmoniker spielten Zyklen von Brahms, Beethoven, Sibelius (jeweils 2 mal) und Mahler. Barenboim und die Staatskapelle griffen bei Beethoven, Bruckner (war dit schön!), Mahler und Brahms zu. Barenboim präsentiert die Brahmssinfonien paarweise, streng symmetriesymphonisch, in chronologischer Abfolge. Anders machen es Ticciati und das DSO im Februar, die spielen vier Sinfonien an vier Abenden, kombiniert mit Zeitparallelem oder verabreicht mit zeitgenössischen Kontrastmitteln.
Barenboim und die Staatskapelle, der Meister und sein Instrument.
Zuerst fällt auf, wie unkuschelig laut Brahms im goldglänzenden Rund der Staatsoper tönt. Doch man ist ganz Ohr, dieser Brahms geht unter die Haut. Denn Barenboim dirigiert keinen klassizistisch geglätteten Brahms, sondern aufgewühlten, lyrisch und dramatisch gesteigerten.
Das ist besonders in der 1. Sinfonie so, wo lyrische Innigkeit zu bekenntnishaftem Feuer wird und motivische Verknüpfungen sich aufeinandertürmen, dass einem ganz schönbergisch zumute wird. Flammende Geigen umschreiben das erste auffahrende Thema in nimmerermüdendem Überdruck. In den endlosen motivischen Aufsplitterungen und Neukombinationen des thematischen Materials fällt der giftige Glanz der Holzbläser auf (alles Bukolisch-Pastorale ist hinweggefegt). Einzelstimmen (Flöte, Oboe, Klarinette) finden zu feurigen Entfaltungen. Das Adagio erhält beinah Bruckner’sche Schwingungsweite.
Das Finale der 1. gerät packend erregend, jeder Einsatz des sangbar weit geschwungenen Allegro-ma-non-troppo-ma-con-brio-Themas überbietet den vorangegangen an Glut, Brio, Hitze, Flugkraft. Das ist fabelhaft. Die Coda steigert sich zu atemloser Bewegtheit. Man fürchtet gar um das Blech. Und der letzte Auftritt des Chorals (nur Streicher und Blech, kein Holz außer Kontrafagott) wirkt in dem ganzen Trubel wie eine überirdische Erscheinung. Die Musiker steigern die symphonische Sprache ins Rhapsodische. Ich habe die Sinfonie Nr. 1 selten eindrucksvoller gehört. Die Tempi sind zügig und frei und souverän gestaltet.

Und wie funktioniert die Wiener Brahms-Melange der Staatskapelle?
Die Staatskapelle stellt ihren geliebten melodischen Reichtum aus, von Daniel Barenboim kommt ein Extrahappen expressive Energie. Das ist das Erfolgsrezept.
Ohne Klangreibungen geht das nicht. Klangklassizisten mögen das bedauern. Denn im Saal der Staatsoper Unter den Linden wird Brahms mit heftiger Tonbildung gesprochen. Dass der Zusammenhalt der Stimmgruppen riskiert wird, wird hingenommen. Das Gefühl für Gleichgewicht ist Barenboim weniger wichtig als die organische, spontane Gestaltung des Musikmoments, die freilich immer der Gesamtstruktur folgt. So kommt auch der ergreifende Sprachcharakter zustande, der an den Interpretationen des Orchesters einnimmt.
Die 2. Sinfonie setzt die Linie der 1. fort und variiert sie ins Lyrische, man merkt, wie agil die „Zweite“ doch ist. Das lyrische zweite Thema wird rasch genommen, kaum cantando (singend), so sehr drängen die Celli. Wie viel in den Sätzen im Detail passiert, wie da ein Teppich aus symphonischen Prozessen, aus Aufbegehren und Verlöschen, geknüpft wird, ist sehr, sehr hörenswert. Ein Beispiel: Die stets aufs Feinste variierte Rückkehr des Themas im Adagio non troppo klingt jedes Mal, je nach Situation, je nach Satz-Fortschritt, vollständig verändert.
Passend finde ich das drängende Tempo im zweiten Satz.
Ein Brahms-Abend, überreich an Ein- und Durchblicken. Dennoch bleibt der Eindruck, dass Barenboims Konzept des entfesselten Ausdrucks Wagner und Bruckner besser ansteht als dem verkappten Klassiker Brahms.
Guten Morgen, Herr Schlatz,
volle Zustimmung meinerseits. Bei der ersten hat’s mich kaum auf dem Stuhl gehalten, so aufwühlend war das gespielt. „Flammende Geigen“ sagen Sie – genau das waren sie. Noch nie ist mir aufgefallen, dass sie im Finale, kurz vor der Kumulation immer wieder „reingrätschen“, aber jedesmal kürzer und schließlich werden sie vom Tutti und den Holzbläsern einfach mitgenommen, übertönt, aufgelöst. Nix mehr mit Zweifeln und Verzagen, raus jetzt ins ungewisse Ganze. Ich konnte jedenfalls nicht klatschen am Ende, ich musste das erstmal alles verdauen. Es war ein großer Abend.
(Kann es sein, dass die Akustik in der Staatsoper den Applaus dämpft? Bei mir ersten Rang, hintere Reihe war nicht der stürmische Jubel zu hören, den ich erwartet hätte. Aber vielleicht ist man von den vergangenen Jahren des Ausweichquartiers in der Philharmonie in dieser Hinsicht auch etwas verwöhnt.)
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Ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass der Applaus gedämpft wird. Hintere Reihe ist natürlich stets weniger toll als 1. oder 2.
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I don’t know who to be more impressed by – the orchestra or Daniel Barenboim. They’re both awesome, just beyond words.
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Ich erinnere mich genau an die Cello-Stelle in der ersten. Ich hatte, als ich ca. 10 Jahre alt war, eine Platte von Sir Jehudi Menuhin über die Instrumente des Orchesters. Soll ich jetzt noch hingehen ? Die Staatsoper hat mir 30% Rabatt angeboten…
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Das Konzert Under den Linden kam mir unheimlich laut vor. War jemand in der Philharmonie? würde mich interessieren ob es dort ähnlich war.
Hatte das Gefühl dass die Konzerte im Konzerthaus angenehmer zu hören waren – ich saß am Montag 3. Rang Seite, im Konzerthaus meist 2 Rang vorne also ähnliche Position
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Fand Konzerthaus auch toll. Schöne Konzerte dort erlebt, Bruckner 9, 5, 7, Pollini Schumannkonzert, Argerich Beethovenkonzerte, Elgar Sinfonien, Mein Vaterland, Pezzi Sacri etc etc. In der Staatsoper ist es immer eine Platzfrage. Siehe Kommentar oben. Laut wars trotzdem
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