Die Premiere von Hippolyte et Aricie geht mit Pauken und Trompeten unter. Aletta Collins macht aus Rameaus Götterdrama eine Geschichte, die gefährliche Längen hat, nicht mitreißt und auch sonst keine neuen Erkenntnisse bringt. Die Liste der Fehltritte ist lang: schwer verständliche Ballettnummern, Kostüme à la Raumschiff Enterprise, endlose Lichterspielchen, null Personenregie.
Wenn Aletta Collins und ihr Bühnenbauer Ólafur Elíasson (auch Licht, Kostüme) die Geschichte von Phèdre, die den Stiefsohn Hippolyte liebt, und von Thésée, der in die Unterwelt steigt und Hippolyte durch Neptun töten lässt, erzählen, dann reihen sie Bild an Bild, Szene an Szene, Akt an Akt. Angetrieben wird der Abend nicht durch zündendes Menschendrama, sondern durch ausgetüftelte Lichtkonstellationen. Der Zuschauer sieht asymmetrische Lichtgitter in Flakabwehrmanier, grellgrün zersplitterte LED-Strahler, kunstvoll reflektierende Spiegelräume, überraschend von innen leuchtende Gestalten. Selten wurde in der Oper so filigran hinter- und beleuchtet. Ähnlich facettenreich die Kostüme: Glitzerroben aus Scherben, abenteuerliche Zellophanumhüllungen, sperriger Orbit-Kopfschmuck. Das wirkt ganz schön spacig. Besonders in Akt 1 und 2 kommt sich der Zuschauer vor wie frisch auf dem Mars gelandet.
Dabei kommt jener rote Regie-Faden zu kurz, der die vielschichtige und personenreiche Handlung (ich habe die Inhaltsangabe vorher fünf Mal durchgelesen) sortieren, gliedern, bündeln müsste. Wo eigentlich Personenführung sein müsste, klafft ein großes, schwarzes Loch. Bei Collins & Elíasson singen keine Menschen, sondern Schablonen. Umwabert von elektronischem Licht, umwogt von Tänzern, bleiben die tapferen Sängerinnen und Sänger weitgehend auf sich allein gestellt. Die Folge ist uninspiriertes Rampenstehtheater, das kaum einmal Drive entwickelt.
Das ist bedauerlich. Denn Rameaus fünfaktige Oper von 1733 hätte eine Regie gutgetan, die den hochtrabenden Götterfiguren und großmächtigen Helden einen warmen Lebensatem einflößte, eine Regie, die das zeremonielle Handlungsgerüst mitsamt gestelzter Reime mit Gefühlen durchwärmte. Stattdessen füllen zahlreiche Tanzeinlagen die Neptun-Rigaudons (Akt 3) und Diana-Divertissements (Akt 4). Sie machen das Schlamassel auch nicht bessser, wirken retardierend und erhöhen nur die lederne Statik des Abends. Mon dieu, so wenig Bühnenglück gab es für die Staatsoper schon lange nicht mehr.
Die Sänger sind gut, sängerisch lohnt sich Monteverdis gleichfalls bei den Barocktagen zu hörende L’Incoronazione di Poppea jedoch einen Ticken mehr.
Anna Prohaska (Aricie) streicht eingewickelt in Rettungsfolie über die Bühne. Anfangs fehlen ihrem Sopran Geheimnis und Gewicht, im 5. Akt dann klingt sie rein und schlank und fasziniert mit der künstlichen Natürlichkeit der Nachtigallarie. Das Titelrollenpaar vervollständigt Reinoud Van Mechelen (Hippolyte), der Belgier liefert dank wandlungsfähigem, angenehm jung klingendem Tenor ein durchdringendes Porträt des Köngisohns. Phèdre (Magdalena Kožená) steckt in einem Kostüm, das aussieht, als wäre der Badspiegel auf die Fliesen gekracht, Koženás intensiver Mezzosopran beglaubigt Sehnsucht und Verzweiflung, insbesondere im Lamento des vierten Akts, die Stimme scheint aber bisweilen zu schwer für die Partie. Als Thésée überzeugt Gyula Orendt mit warmem, leuchtfähigem Bariton, wohingegen Elsa Dreisig als keusche Göttin Diane in elegantem Schwarz auftritt und ihre zwei Szenen in weichen Schönklang taucht.
Weitere französischsingende Götter und Sterbliche werden verkörpert durch Roman Trekel als Rachefurie Tisiphone, Peter Rose als in Würde ergrauter Unterweltherrscher Pluton, Adriane Queiroz als Phèdres Dienerin Œnone (mit resolutem Sopran), Sarah Aristidou als Hohepriesterin mit Hohlspiegel im Nacken (klar und wohlklingend, Nos cris sont montés jusqu’aux cieux), Slávka Zámečníková als Jägerin (mit anrührendem Sopran, Nos asiles sont tranquilles), Serena Sáenz Molinero als Schäferin (verdammt, wo tauchte die nochmal auf?), Michael Smallwood als Mercure, der Pluton den Befehl übergibt, Thésée aus der Unterwelt zu entlassen, und die drei Parzen Linard Vrielink, Arttu Kataja und Jan Martiník (gehüllt in persilweiße Mousselinwolken, die plötzlich wie Wohnkristalle von innen leuchten), deren zwei Terzetteinlagen zu den aufregendsten Nummern zählen.
Simon Rattle, der Bejubelte, kehrt an den Pult der Staatsoper zurück. Wie in den Jahren zuvor leitet er mit Hippolyte et Aricie ein Nischenwerk (oh là-là, war Chabriers L’Étoile schön). Heute steht Rattle dem Freiburger Barockorchester vor und verpasst Rameau mit unwiderstehlichem Schwung eine Frischzellenkur. Gespielt wird rhythmisch unerbitterlich, mit fabelhafter Genauigkeit, und auch der Staatsopernchor präsentiert sich endlich einmal wieder in hörenswerter Verfassung.
Applaus für Sänger und Musiker, aber auch viele Buhs für die Regie.
Foto: Karl und Monika Forster
Weitere Kritiken und Berichte zur Staatsopern-Premiere: folgen
Diese Regie(rein)einfälle immer. Mir tun die Sänger leid, die sich da durchquälen müssen. Die Kostümauswahl scheint ja sehr bizarr gewesen zu sein.
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Bin ich froh dass ich nicht da war. Diese Aletta Collins hat sicherlich Rattle angeschleppt kann mir kaum vorstellen dass Matthias Schulz die engagiert hat. So gut wie immer wenn Rattle die Regie bestimmte ist es daneben gegangen wie in Baden-Baden mit den Philharmonikern, die Sprayer -Tosca von Himmelmann, die Zauberflöte von Carsen oder in Aix der Ring von Braunschweig.
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weiß jemand warum nach der Pause die Türschließer auf einmal im Saal standen, war ziemlich spooky
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Vielleicht um aufzupassen, ob jemand aus dem Sitz kippt wegen des Geblinkes oder der Nebelschwaden?
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ich würde Anna Prohaska glatt zur Frau nehmen
wenn sie nicht so schwierig wäre
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