Keine lodernde Rach- und Eifersucht, kein Hass, dafür verzweifelte Liebe und die tödliche Macht der Familienehre – das melodramma La Traviata setzt andere, aber nicht weniger fatale Akzente als Rigoletto oder Troubadour. Wenn Regisseur Dieter Dorn nun an der Staatsoper Berlin versucht, Verdis herzzerreißende Oper um die vom Wege Abgekommene (deutsch für traviata) mit einer zerwühlten Matratzeninsel auf schnöder Einheitsbühne, mit kalt glitzernder Spiegelmauer und scheu schleichenden Memento-Mori-Lemuren

in den Griff zu bekommen, so ist das Ergebnis ein zwar symbolistisch faszinierendes, aber nur begrenzt mitreißendes Bildertheater, in dem der Hauptakteur – der Tod heißt. Dafür halten – wieder einmal – die Sänger das Feuer im Verdi-Ofen am Brennen.

Die tragisch zwischen Feierlaune und Liebestraum zerrissene Violetta Valéry verkörpert während dreier Vorstellungn nun die temperamentvolle Ailyn Pérez, die sich in Sempre libera und Gran Dio! morir sì giovane (Großer Gott! so jung sterben) stürzt, als gälte es ihr Leben. Pérez hält die Leidenschaften mit Feuer und Furore am Brodeln, wenn auch an diesem Abend manche Spitzentöne nicht ihre dicksten Freunde sind. Wahr ist, dass die lebenssprühende Ailyn Pérez als Schwindsüchtige fast zu vollblutig wirkt. Außerdem erklimmt ihr Sopran bisweilen Dezibelgrade, die eher für eine Turandot schicklich wären. Wahr ist aber auch, dass Ailyn Pérez eine honigsüß gerundete Sopranstimme mit üppigem Klang ihr eigen nennt und zudem bittertragisch glaubhaft macht, wie der Spagat zwischen Liebe und Familienehre sie im Innersten zerreißt.

Alfredo ist wie Radamès in Aida einer der für Verdi typischen, zögerlichzaudernden Liebhabergestalten, und so passt es wie der Deckel auf den Verdi-Topf, wenn der französische Tenor Benjamin Bernheim einen eher schüchternen als feurigen Alfredo gibt, der seine linkische Langbeinigkeit auch im ländlichen Liebesnest zu Beginn des zweiten Aktes nie ganz ablegt. Stimmlich punktet Bernheim aber mit klarer und fester, dynamisch wandlungsfähiger Tenorstimme, sein Timbre hat Biss, kann aber kühl und etwas instrumental klingen, und die federnde Spritzigkeit für De miei bollenti spiriti hat man von Liparit Avetisyan im Winter locker-flockiger gehört.

Dafür setzen Pérez und Bernheim mit ihrer vokalen Durchschlagskraft den Ensembles aber die Lichter auf, dass es eine Freude ist.

La Traviata Dieter Dorn Berlin
Foto: Bernd Uhlig

Das Urthema der Oper Verdis heißt: der Bariton-Mann. So Paul Bekker schon 1934. Der Bariton-Mann in La Traviata heißt Vater Germont, dem Familienehre über Sohnes- und Schwiegertochter-glück geht und der zu spät merkt, dass das Opfer, das er verlangt, zu groß für die zarten Schwindsuchtschultern der Violetta ist. Alfredo Daza singt den Vater als vital drängenden und beängstigend bedrängenden Familienpatron mit potentem Bariton und packendem Bühnenspiel. Natalia Skrycka lässt die feierwütige Flora vokal vibrieren und schillern, Corinna Scheurle ist die meist stumm umherschleichende Dienerin Violettas, von der man gerne mehr Töne hören würde, David Oštrek der würdevolle Doktor im rosa Jacket und mit dem obligaten Lederarztkoffer, Adam Kutny ein glaubwürdig eifersüchtiger Baron Douphol, den Gastone singt Andrés Moreno García und Arttu Kataja ist der verbindliche, stets tadellos gekleidete Marquis D’Obigny.

Im Orchestergraben lässt der fabelhafte Domingo Hindoyan die ätherischen Streichernebel des Preludios fantasievoll wabern, und auch später hört man ein farbiges, pushiges, temperamentvolles Dirigat, das nur hin und wieder, genau wie die Hauptsänger, ein wenig zu laut ist.