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Teil zwei des konzentrierten Konzertwochenendes der Berliner Philharmoniker. Es bringt drei Sinfonien und zwei Uraufführungen. Während die Musiker sich warmspielen für eine über London, Wien, Amsterdam und Madrid führende Tourneeschleife, immerhin der letzten unter Simon Rattle, nutzen die Berliner eine der letzten Gelegenheiten, das Bühnentier Rattle als Chef zu hören. Am Samstag stand das ungleiche Duo Abrahamsen-Bruckner auf dem Programm, am heutigen Sonntag höre ich den sinfonischen Pas de deux Lutosławski-Brahms und Unerhebliches von Jörg Widmann.

Witold Lutosławskis überraschende und reiche Sinfonie Nr. 3 (Uraufführung 1983, Dirigent: Solti), entstanden im Schatten der polnischen Protestbewegung,
ist aufs Neue das Meisterwerk, das sich labyrinthisch und rätselhaft durch unsere Ohren (man muss sich zum Hören zwingen, doch dann entsteht der Sog) in unsere Herzen schlängelt. Lassen sich die aleatorischen (sprich Zufalls-) Elemente, die klanglich im fragilen Gefädel oder in schwirrenden Impulswolken realisiert werden, der Sphäre des Individuell-Menschlichen zuschreiben, gegen die sich die mottohaften Tuttischläge kontrastierend abheben, so erschöpft sich der Reichtum der Dritten hierin nicht auch nur annähernd. Eindruck machen auch das mächtige Tuba-Solo (Alexander von Puttkamer) sowie die Pizzicato-Passage, die auf jene der Brahmssinfonie (Finale!) vorgreift. Ich rege an, die ein oder andere Aufführung einer Sinfonie Schostakowitschs durch eine der vier Sinfonien Lutosławskis zu ersetzen.
Die 1. Sinfonie von Johannes Brahms steht unter Rattle dem einfühlenden Verstehen weit offen, sie glüht, löst die Schwerlast resignativer Melancholie im breit strömenden, singulär konstruierten Finale.
Die Einleitung zum ersten Satz nimmt Rattle vorsichtig und verhangen und lässt sie in den klagenden Soli von Oboe und Flöte ganz zu sich kommen. Der erste Satz präsentiert sich drängend und energisch, mit mehr nach innen als nach außen gerichteter Expansion und durchaus mit Breite. Zum Höhepunkt werden die beiden Binnensätze, die ich kaum je solcherart versponnen in ihr Material hörte. Nirgens sonst ließe sich besser hören, wie die blendende Virtuosität des Orchesters sich im Leisen bewährt. Das Finale bringt die erwartete heftige Energiebündelung und -entladung, in dessen dramatisch zerrissenen, von widerborstigen Motivfragmenten hochexpressiv aufgeladenen Partien die Orchestermusiker alles wagen und die Gruppenkoordination bis zum Zerreißen gespannt scheint. Das Einverständnis zwischen Dirigenten und Orchester schien nie höher. Als Interpret setzt Rattle hier mehr auf ein Konfundieren klanglicher und plastischer Energien als auf Durchsichtigkeit der Stimmen. Gab es im Andante sostenuto (im 2. Satz) nicht unterschiedliche Tempoauffassungen von antreibender Solovioline (betörend: Daniel Stabrawa) und den Beharrungskräften der Blechsektion? Während des Schlussapplauses ist Rattles erster Gang scharf nach rechts zu den Kontrabässen, dann in die Mitte zum Soloflötisten, zum Solooboisten, zum Solofagottisten, dann eine Reihe tiefer zum Solohornisten.
Der Tanz auf dem Vulkan von Jörg Widmann, eine veritable Uraufführung, animiert Orchester und Chefdirigenten zu einem Gag, ist ansonsten dicht gebaut und von einer überbordenden Klangfülle und rhythmisch treibenden Kraft, die zu einem „phantastischen Wirbel“ führt, wie Ravel anlässlich seines La Valse bemerkte.
Das Konzert hinterlässt einen hervorragenden Eindruck.
Ihre Anregung, mehr Lutosławski statt Schostakowitsch zu spielen, finde ich unterstützenswert. Mit Rattles Brahms tat ich mich schwer. Die Binnensätze gefielen mir auch besser.
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Das neue Cookies-Banner will mir auf Ihrer Seite einfach nicht weggehen. Bei anderen WordPress-Seiten lässt es sich einfach davonklicken, woran mag das liegen?
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Problem bekannt, Problem versucht zu lösen, Problem besteht weiterhin. Muss ein seltener WordPress-Bug sein. Ich setz mich heute Abend noch mal ran
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Im Voraus hat es wieder Ärger mit den Podiumsplätze gegeben. Einen Tag vor dem Verkauf angerufen, wurde mitgeteilt dass es Podium gibt. Am Donnerstag 1 Stunde angestanden und auf einmal: Kein Podium. Die Dame erhzählte was von Sängern und zu großem Orchester. Gestern nun dagewessen und siehe da: Das Podium war leer, keine Spur von Sängern, da stehen vier säuberliche Sitzreihen. Ich mein selbst an Silvester gehen die Podiums Plätze in den Verkauf. Ehrlich gesagt damit vergraulen die Berliner Philharmoniker ihr treues Stammpublikum
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Den Ärger kann ich verstehen. Ich sitze auch hin und wieder auf dem Podium. Wahrscheinlich wurde wegen der Filmaufnahmen aufs Podium verzichtet.
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Es wurde höchste Zeit dass dies Problem mal zur Sprache kommt
Das BPO wird immer knickriger. Man muss ich nur die Preissteigerungen der letzten Jahre ansehen. Inzwischen kostet auch Late Night extra, Silvesterkonzert ist unbezahlbar etc etc
Manchmal denk ich die Karten bei den Phillies haben eine Immobilienpreis Bindung
Dann die ganze Trickserei bei den Stehplätzen.
Ich ruf an, aha, OK, gibt keine Stehplätze. Kaum bin ich im Konzert seh ich dass alle Stehplätze besetzt sind.
Hab auch schon erlebt dass sie eine halbe stunde vor Verkauf gesagt haben es gibt keine Stehplätze und auf einmal war halb sieben und schon gab es welche
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Die Kritik verstehe ich nicht. Die Berliner Philharmoniker sind eben kein Pipapo-Orchester. Dass man da nicht für ein Appel und ein Ei reinkommt, müsste eigentlich auch für Sie nachvollziehbar sein. Wir sollten stolz darauf sein, dass wir ein Orchester in der Stadt haben, dessen Konzerte auch bei leicht angezogenen Preisen zumeist ausverkauft ist. Das ist nun einmal der Preis, der für Exzellenz zu zahlen ist. Das ist in jedem Bereich so, warum nicht auch in der Hochkultur.
Ecco.
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Man kann natürlich auch durchs Leben gehen, und denken, dass sich Exzellenz in der Hochkultur in Geld bemessen lässt, aber wäre das nicht …
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Richtig. Und es ist auch die Legitimationsgrundlage für die öffentliche finanzielle Förderung exzellenter Hochkultur, dass sie auch für diejenigen zugänglich ist, die eben nur nen Appel und n Ei zahlen können. Zumindest ein bestimmtes Kartenkontingent. Berliner Philharmoniker als exklusive Veuve-cliquot-Veranstaltung, nein danke. (Zum Glück sind wir davon noch weit entfernt, ist das nicht auch teilweise ein Rattle-Verdienst?)
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Ein Freund von mir läuft Marathon und der berichtet Ähnliches vom Berlin-Marathon. Läufer aus Berlin haben es seit einigen Jahren sehr schwer in die Startliste zu kommen weil der Veranstalter die Startplätze kontingentiert und die Plätze lieber an Reiseagenturen vergibt weil die viel Geld in die Stadt bringen. Es soll inzwischen leichter sein für jemanden aus London oder Kopenhagen einen Startplatz zu bekommen als für einen der in Berlin wohnt.
Die Diskussion hier geht in eine ganz ähnliche Richtung. Ticketpreise für die Berliner Philharmoniker werden enorm angehoben, dafür die sündhaft teure Digital Concert Hall aufgebaut. Die ist aber nicht für die Berliner – — schön blöd wer sich vor den PC hockt wenn er ins Konzert kann — sondern um das Publikum in Japan, China und USA bei der Stange zu halten. Die Berliner haben das Nachsehen.
Gleiche Sache beim Fußball in UK: Stadionpreise so hoch, dass die Fans die Tickets nicht mehr zahlen können, im Stadion hocken irgendwelche Business Leute, die denken es wäre cool zu United zu gehen, die Fans sollen gefälligst Sky Abo kaufen, wofür die Vereine AberMillionen einsacken wodurch wieder die Vereine in China vermarktet werden. Brand Building etc.
man soll die Philharmoniker natürlich nicht verdammen, die machen ja viel, auch für Jugendliche und Studenten gibt es günstige Karten. doch die Gesamtentwicklung zielt einfach in eine andere Richtung. Nicht umsonst kam der ehemalige Intendant Martin Hoffmann von Sat1.
Tempora mutantur
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Klares Nein.
Ich liebe Musik, brauch sie zum leben, das ist existenziell für mich und meine grösste Leidenschaft. Fast der einzige Grund das Haus zu verlassen. Manchmal geht ein Drittel meiner Grundsicherung im Monat für Konzert und Oper drauf. Eine Woche ohne Musik kommt in meinem Leben nicht vor, kann nicht vorkommen.
Die Möglichkeiten solche Veranstaltungen auch mit geringem Budget zu besuchen sind in dieser Stadt grossartig. Die Leute von der Abendkasse stets sehr zuvorkommend usw.
DIE Ausnahme, gerade durch die Preiserhöhungen im Podiums-Bereich, sind die Berliner Philharmoniker (im KMS sieht die Sache bei Hausproduktionen schon besser aus). Was OK ist, absolut, aber gerade im günstigen Preissegment wäre doch vielleicht mehr Spielraum.
Dass die Informationspolitik hin und wieder, sagen wir mal, uneinheitlich ist, macht die Sache nicht schöner. Die ergänzte Bruckner 9 neulich war mir so wichtig, dass ich sowieso in F investieren musste, stand brav zum Vorverkaufsbeginn zwei Stunden vor dewr Kasse (dazu die letzte Mahler 6 mit SSR, dafür hab ich am Essen gespart in dem Monat…) – hätte ich das nicht getan sondern wär von Verfügbarkeit des Podiums ausgegangen (das Programm liess das zu) hätte ich in die Röhre geschaut. Der Verlust dieses Konzert wäre für mich sehr, sehr schwer erträglich gewesen.
Für mich ist das keine „Hochkultur“ sondern Lebensmittel.
Und wenn Sie schreiben „stolz … bei leicht angezogenen Preisen … zumeist ausverkauft“ hab ich zwei Anmerkungen:
1. man ersetze „leicht angezogen“ mit „im Vergleich mit Abstand die höchsten“ und
2. dass meiner bescheidenen Erfahrung nach das Publikum gerade im Grossen Saal nicht immer die Konzentration aufweist, die bei anderen Orchestern herrscht. Schon alleine, weil ein Besuch der Philharmonie für manche Touristen einfach dazu gehört die nicht unbedingt der Werke wegen den Weg hinein finden.
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Volle Zustimmung. Danke für Ihren Beitrag!!
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Endlich mal eine Diskussion due schon lang geführt werden müsste. Ich möchte mit einem eigenen Beitrag meinen teil dazu beitragen. Nicht erwähnt bislang wurde nämlich die neue Politik der Berliner Philharmonie, um das vordere Parkett eine Schutzzone aus Kartenkontrolleuren zu ziehen. Das ist ja wohl die Höhe. Gratulation, dass die Philharmonie jetzt auch ihre Gated Community hat. Immerhin passt das zu der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung. Wer schon 100 Euro pro Nase zahlt, soll bitte schön auch unter sich bleiben dürfen. Nicht nur dass, auch in der Pause wird kontrolliert. Ich meine, wenn Plätze leer sind, können die doch von Leuten besetzt werden, die ungünstig sitzen, schlecht sehen oder schlecht hören. Ich für meinen Teil habe es noch nicht erlebt, dass in der Pause der Block A von Horden von Besuchern aus K , Podium und Stehplätzen überflutet wird. Also ich weiß nicht, wer sich diese Maßnahme ausgedacht hat. Die Kartenpreise für Rattle-Konzert besonders in Kategorie 4 sind so hoch gegangen dass man es wirklich keinem Besucher verdenken kann wenn er in der Pause auf bessere Plätze wechselt. Das Silvesterkonzert kostet MINDESTENS 60 Euro je Besucher und wir sprechen wohlgemerkt nicht von dem Konzert am 31. sondern von denen an den zwei Tagen davor. Guter Hinweis auf den Berlin Marathon, solches Marketing- und Profitdenken zu vermuten, das Stammbesucher benachteiligen und zahlungskräftiges Publikum von außerhalb bevorzugen will leuchtet mir sofort ein.
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Vielen Dank für Ihren Kommentar und Entschuldigung für die späte Freischaltung. Manchmal sind Kommentare neuer Kommentatoren schlecht zu sehen.
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Ihr ständiges Polemisieren gegen Jörg Widmann ist unseriös und lächerlich. Widmann ist einer der führenden Gegenwartskomponisten. Das sollten Sie auch endlich einmal zur Kenntnis nehmen. Aber offensichtlich schlafen Sie den Schlaf der Ahnungslosen.
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Hier noch etwas für Sie zum Ärgern in Sachen des gegenwärtigen Führungskomponisten: https://van.atavist.com/widmann-kritik
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