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Die Komische Oper Berlin zeigt Die Gezeichneten von Franz Schreker.
Die Gezeichneten mausern sich zur Trendoper. Im Sommer 2017 wagte sich gar die große Bayerische Staatsoper an die Lust-und-Laster-Oper. Erst Ende der Siebziger leiteten M. Gielen und H. Neuenfels die Wiederentdeckung ein. Zuvor hatten die Nazis Schreker mit deutscher Gründlichkeit aus den Spielplänen gekärchert. Komponiert wurde die dreiaktige Oper während des 1. Weltkriegs. Schreker war damals der letzte Schrei, Schrekers Opern waren gleichbedeutend mit wuchernden Klangräuschen und auratischen Textbüchern.
Schon das Libretto von Die Gezeichneten schillert. Die Mischung aus Thrill, Eros und Jugendstil-Ästhetik ist 100% Schreker.
Schmierige Adlige rauben Mädchen und missbrauchen sie. Der skrupelloseste unter ihnen ist Graf Tamare. Ort der Verbrechen ist die Insel „Elysium“, eine elitäre Kunstwelt, die der Adlige Salvago geschaffen hat. Salvago ist ein Krüppel mit Herz, er liebt die schöne und geheimnisvolle Carlotta. Doch Carlotta erliegt Tamare und Salvago endet im Wahnsinn. So kann’s kommen. Auch wenn das Textbuch Krudes mit Hochsinn mischt, so sind Schönheit und Laster, Mord und Totschlag altbewährte Zugaben für einen fesselnden Opernabend. Und fesselnd ist dieser Abend gewiss.

Laszive Räusche
Schrekers immer noch und immer wieder faszinierende Musik hört auf den Namen Klangrausch. Ihr Stilgesetz ist die lasziv schillernde Fülle. Sie verwebt die Raffinesse Debussys und Straussens Süffigkeit. Dabei wühlt die Partitur schonungslos in den Eingeweiden der Figuren und kehrt deren Innerstes nach außen. Während sich auf der Bühne die vom Schicksal Geschlagenen krümmen, triumphiert in Schrekers Musik das schöne Melos.
Diese Oper ist durch und durch erstaunlich. Man sollte sie sich anhören.
Ihr nimmt sich nun in Berlin Calixto Bieito an.
Während Warlikowski in München Schrekers Meisterwerk in eine abenteuerliche Umlaufbahn aus lustigen Symbolen und komplexen Verweisen schoss, erdet Bieito es in Berlin kompromisslos. Er geht gegen das hypertrophe Wuchern von Text und Musik vor. Calixto Bieito nimmt den Opulenzdruck raus. Den überlässt er dem Orchester. Stattdessen herrscht auf der Bühne Klarheit.
Die Klarheit einer glasklaren Regietheater-Botschaft. Und die lautet: schnöder Missbrauch, üble Pädophilie.
Das ist nicht untriftig.
Aber haut das hin? Schreker und glasklare Botschaft, das ist wie Wagner und 10-Mann-Orchester. Es passt nur bedingt zusammen.
Bieito macht nämlich die Edelleute um Obermacker Tamare zu einer fiesen Päderastenklicke. Die schleifen Bubis in Matrosenhöschen über die Bühne. Auch Chef-Mäzen Salvago starrt einen Pimpf mit Schlips an. Das wirkt bisweilen wie angepappt. Und doch: Erstaunlicherweise schadet Bieitos Regietheater-Dreh dem Abend weniger als befürchtet. So befreit Calixto Bieito Schrekers Oper von jeglichem Fin-de-Siècle-Plunder.
Klarheit herrscht auch beim Bühnenbild (Rebecca Hingst): eine weiße Wand aus Paneelen im ersten Akt, Mega-Kuschelteddies und Spielzeugeisenbahn im dritten. In der knallroten Bimmelbahn, die direkt aus der Wuhlheide in die Komische Oper zu fahren scheint, hängen leblose Missbrauchsopfer. Auch wenn alles a bissl plakativ wirkt, so schafft Bieito Raum für seine Botschaft. Und es ist allemal perspektivreicher, als Die Gezeichneten als fidele Sadomasoshow zu verhunzen.
Ausrine Stundyte ist Carlotta, Peter Hoare Salvago, Micheal Nagy Tamare
Carlotta ist das Mädel aus höherer Gesellschaft, halb Diva, halb Rotzlöffel, nebenbei Malerin, an der Darstellung der Seele sehr interessiert, eine „selt’ne Begabung“, wie der Herzog später sagen wird. Ausrine Stundyte gibt im rosa Pelzjäckchen die Verführerin vom Dienst. Eine Augenweide ist sie im Maler-Overall (Atelierszene!). Da passt die freche Strubbelfrisur wie der Deckel auf den Topf. Stundytes Sopran ist kein Legato-Wunder, und die Intonation oft ungenau. Doch Stundyte legt in der Höhe phämomenale Leuchtspuren und auch die Mittellage ist voll dunkel leuchtender Farben.
Lustmolch Tamare wird von Michael Nagy mit viel Saft und großartiger Kraft gesungen und gespielt. Doch als Figur bleibt der skrupellose Tamare seltsam gesichtslos. Denn mit Durchleuchtung der Figuren hat Regisseur Bieito wenig am Hut. Komplexer ist Salvago angelegt, der an der Verquickung von Schuld und Liebe zugrunde geht. Vergeblich flieht der triebgehemmte Mäzen in vermeintlich heile Kinderzimmerwelten. Peter Hoare singt den Salvago mit bisweilen enger Stimme, lädt die Figur aber mit Dringlichkeit auf. Verve und Tempo von Peter Hoares Bühnenpräsenz sind hoch zu loben.
Einen metallisch kraftvollen Herzog singt Joachim Goltz. Der würdevolle Podestà Jens Larsen gefällt mit sonorem Meistersinger-Parlando. Christiane Oertel brilliert als auch stimmlich resolute Martuccia und feuert eine Mezzo-Rakete nach der anderen in Richtung Pietro (Christoph Späth) ab, der sie dafür schlussendlich erdrosselt. Die Streitszene der beiden (Holde Martuccia! – Du Lump! Gauner! Verbrecher!) steht der Mägdeszene aus Elektra in nichts nach.
Manchmal denkt man: Das ganze Personal (Graf! Podestà!! Herzog!!!) ist so was von neunzehntes Jahrhundert. Aber wie genial der Schreker-Franz dem ganzen Pack die Ausdruckslust in die Kehle komponierte!
Auch das bonbonbunte Zopfmädel der Mirka Wagner (mit trauriggrotesker Tanzeinlage und scharfer, prägnanter Stimme), Jüngling Emil Ławecki und die liebliche Ginevra von Katarzyna Włodarczyk können sich hören lassen. Die lüsterne Höflingsclique hat die Regie behutsam individualisiert. Im steten Wechsel von ariosen Aufschwüngen und operettigem Sprechsingen geben dabei Samuli Taskinen, Tom Erik Lie, Ivan Turšić, Adrian Strooper, Johnathan McCullough und Önay Köse ihr Bestes.
Stefan Soltész findet am Pult des Orchesters der Komischen Oper schöne Momente, besonders der Anfang des Elysium-Aktes gelingt berührend. Soltész wacht mit verlässlichem Ohr über Beweglichkeit und Klarheit des orchestralen Erscheinungsbildes. Am sinnlichen Mäandern der Partitur, am Ausleuchten des Liniengewebes könnte für die Folgeaufführungen (10.2., 18.2., 11.7.) noch gearbeitet werden.
Einige Buhrufe, viel Beifall. Daumen nach oben für die Komische Oper, die Schrekers Opus magnum nach Berlin holt.
Wollte auch gestern gehen, aber grippaler Effekt hielt mich ab – und die Skepsis gegenüber dieser Pädophilenchose von Bieito weckte nicht den Wunsch, mich mit Medikamenten zuzudröhnen, ums nicht zu verpassen. Außerdem ist dieser schrekersche Harfenrausch bei verstopften Neben- und Haupthöhlen moralisch gefährlich.
Aber gutes Argument: „Das ist allemal perspektivreicher, als Die Gezeichneten als fidele Sadomaso-Show zu verhunzen.“ Wenigstens eine Haltung bei Bieito. Der Missbrauch von beliebig hingepustelten Larifari-BDSM-Motiven in der zeitgenössischen Opernregie wäre mal einer eingehenden Betrachtung wert. Da verdiente so mancher Inszenateur die Peitsche.
Freut mich, wenn es musikalisch so halbwegs funzt. Vielleicht gehe ich im Juli, da hat man an der Komischen Oper ja immer nochmal die Chance, alles Verpasste nachzuholen.
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Dann gute Besserung
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