Es ist erstaunlich, wie viele Ost-Komponisten neben und nach Schostakowitsch immer noch eine Entdeckung wert scheinen. Dies scheint besonders für den Polen Mieczyslaw Weinberg zu gelten. Dessen Violinkonzert, das im übergroßen Schatten eben jenes Schostakowitsch entstand, wurde 1961 von Leonid Kogan in Moskau uraufgeführt. Angesichts des schmalen Bestands an lebensfähigen Violinkonzerten 20. Jahrhunderts könnte Weinbergs Werk durchaus ein Bereicherung darstellen.

Mieczyslaw Weinbergs Violinkonzert scheint stark im ersten Satz, unmittelbar bezwingend im Adagio, nur das Finale blüht bescheidener.

Im DSO-Konzert in der Philharmonie Berlin ist Gidon Kremer Weinbergs fähiger Fürsprecher. Kremers Geigenton ist immer noch ein Ereignis. Sein Ton wechselt ständig Form, Ausdruck und Einfallwinkel. Kremer kann ebenso stämmige Sonorität russischer Schule wie gläserne Transparenz. Nichts Menschliches scheint diesem Geigenspiel fremd.

Kaum traut man Kremer um die Ecke. Es lauern schräge Töne, wie man sie von Ligetis Violinkonzert kennt. Kremers Vibratoarmut klingt nicht historisch, sondern modern. Nebenbei gesagt scheint sie nur das Abfallprodukt herber Konzentrationswut – so als vergäße Kremer beim Spielen einfach mal zu vibrieren. Kremers Piano (Adagio) ist so substanziell wie keines.

Kurz: Der Lette Kremer ist immer noch der vielleicht beste Geiger der Welt.

Das DSO unter der litauischen Dirigentin Mirga Gražinytė-Tyla fügt wo nötig reine Farben und hinterlistiges Tempo hinzu. Auch das von Gidon Kremer zugegebene Präludium (original für Cello) von Weinberg entspricht dem schon Gehörten.

Die nordische Aura des Konzerts – der Solist ist Lette, die Dirigentin Litauerin, der Komponist Pole – wird weiter unterstrichen durch die Tatsache, dass die zweite Konzerthälfte dem Finnen Jean Sibelius gehört. Dessen symphonische Dichtung Lemminkäinen-Suite (1896) widmet sich den kurzweiligen Schicksalen der Sagengestalt gleichen Namens, eines unternehmungslustigen finnischen Burschen, den tragisch düsteres Geschick ereilt.

Bekanntlich war Sibelius damals – wenige Jahre vor der Komposition seiner ersten Sinfonie – noch ein junger Mann mit scharfer Nase, steiler Stirn und stechendem Blick. Doch die Eigenschaften seiner Musik – epische Weite, pantheistische Naturgläubigkeit, karg geschnittene Themen, kühle Frische des Kolorits, latente Volkstümlichkeit – sind 1896 schon sämtlich vorhanden. Die Interpretation durch das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter der 32-jährigen Gražinytė-Tyla bringt Sibelius‘ Suite zu lebhafter Darstellung, überall sicher im Detail, durchgehend frisch rhythmisiert und hinreichend frei atmend.

Zu Beginn noch die Szene mit den Kranichen für zwei Klarinetten, Pauke und Streicher, ebenfalls von Sibelius.