Gustavo Dudamel Lindsey Hume Jonas Kaufmann Alexia Voulgaridou Alferdo Daza Anna Samuil
Bericht Staatsoper Berlin / Kritik Gustavo Dudamel. Ächz. Am Abend vorher Simon Rattles phantastische Sechste von Beethoven gehört. Zwei Tage später den Abend des Alban Berg Quartetts gehört. Dazwischen dann die mehrfach ausverkaufte La Bohème besucht. Gustavo Dudamel dirigierte leidenschaftlich schön. – Die Kritik zur Bohème 2016 mit Sonya Yoncheva und Joseph Calleja lesen! – Was die Dirigenten angeht, gleicht das italienische Repertoire an der Lindenoper einem Dornröschen, das auf den wartet, der es wachküsst. Gustavo Dudamel ist ein Kuss in die richtige Richtung. Das Dudamelsche Tohuwabohu stellte sich im ersten und zweiten Akt tatsächlich ein, man hatte es schon vermisst. Beethovens Siebente im Konzerthaus ist schon ein halbes Jahr her. Unter Dudamels Tempo fuhr die Bohème zusammen wie ein aufgeschrecktes Huhn. Aber es war großartig.
Dudamel strafft, lässt fließen, ihm gelingen beherzte, griffige, italienisch vibrierende Linien. Aber deutlich zu laut. Kaufmann hörte man bei „l’anima ho millionaria“ kaum. Und auch „Talor dal mio forziere“ gab’s nur unter Mühen zu hören.
Aber die Ohren troffen über, wenn ich das mal mit einem falschen Bild sagen darf – bis in die letzten Noten des Schlusses des vierten Aktes hinein. Für die Straffheit der Orchesterführung nimmt man das Unkontrollierte, das Fehlen von Konsequenz, an Dudamels Dirigat gerne in Kauf. Verfügte Dudamel über die Kaltblütigkeit eines Mariss Jansons, er wäre schon jetzt einer der mitreißendsten Dirigenten. Nächstes Jahr dirigiert Dudamel Don Giovanni.
Jonas Kaufmanns Stimme ist in der Mittellage röhrend schön und schlank, oben jedoch eng, wenn auch nicht immer, so doch oft genug, um die Stirn zu runzeln, wenn man vom vollbesetzten dritten Rang hinunterlinst – tja. Es fehlen Charme und Wärme – tja. Man hörte eine Rolle von ihm, keinen Rodolfo. Tja. Leichte Enttäuschung, mit der man bei dem Tamtam im Vorfeld seines Berliner Auftrittes jedoch rechnen konnte. Wie beglückend italienisch (burschikos, schmachtend, herzlich) parlierte dagegen Leonardo Capalbo den Nemorino drei Wochen vorher hin. Und Capalbo konnte sich hinfläzen… Jonas Kaufmann summiert Rodolfohaftes zu einem Rodolfo, wie man es schon zehn Mal gesehen hat. Ihm fehlten Herz und Attacke. Es klang wie beim Vorsingen. Vielleicht steht ihm Großes bevor. Vielleicht. Zudem legt er’s zu sehr aufs Röhren an. Kaufmanns Singen hat was von Juke-Box.
Die langgliedrige Alexia Voulgaridou war die Mimi mit lauter, sehr geschlossener, kühler Stimme, die seltene Momente von ganz eigenartig großen Farbmischungen hatte und je toter die Mimi, desto besser wurde. Alexia Voulgaridous Sopran ist einer jener Stimmen, die von ihren Eignerinnen stolz, souverän und mit instrumentaler Würde, die einen perplex macht, geführt werden. Dudamel vermochte Voulgaridous Stimme nicht in sein Dirigat zu integrieren. Was gänzlich unintegrierbar war, war die Inszenierung von Lindsey Hume. Die Bohème in der Regie von Lindsey Hume bedeutet einen Triumph von Bühnengurkerei. Man wünschte diese Inszenierung geteert, gefedert und gesotten.
Opernkritik La Bohème Berlin: Dudamel vor Alexia Voulgaridou vor Jonas Kaufmann. Ganz weit hinten Lindsey Hume.