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Die Deutsche Oper Berlin zeigt Verdis blutig dunklen Don Carlo nach Schillers „dramatischem Gedicht“ in hörenswerter Besetzung.

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Verdis Don Carlo: Der Großinquisitor sorgt für seine Schäfchen / Foto: Bettina Stöß

Wie schlagen sich die Sänger in Verdis längster Oper, in der der Komponist dem Menschen das Daseinsglück so schmählich verweigert?

Als Elisabetta hat Kristin Lewis Bühnenpräsenz in sich, hoheitsvolle Ausstrahlung. Sängerisch bietet sich ein Chiraoscuro-Bild. Einerseits sind die hohen Töne im Piano unfrei, werden behutsam attackiert. Der Vortrag ist dynamisch unausgeglichen. Andererseits: welch klangliches Fluten ist in dem As auf fior (in Tu che le vanità) hörbar, wie präsent ist das tiefe Brustregister. Also, Lewis Rollenporträt ist vielschichtig und reich. Als Filippo lotet Giacomo Prestia mit starker Bassstimme den Widerspruch zwischen Gottesfurcht und Sohnesliebe aus. An anderer Stelle hapert es. Die Artikulation ist wenig plastisch und Legato-Finessen in der trauernden Klage Ella giammai m’amò! Mangelware bleiben.

Wenn die ordentliche Inszenierung von Marco Arturo Marelli mit ihrem monumentalem Sichtbeton-Kubus und den Novecento-Kostümen keinen Regietheater-Schrecken verbreitet, soll dies kein Unglück sein. Den Zusammenstoß von Religion und Staat, von Einzelmensch und menschenfressendem Totalitarismus macht sie sinnfällig. Ob freilich die pausenlos bewegten Bühnenwände deren eben proklamierte Düsternis nicht im selben Moment wieder aufheben, sei dahingestellt. Dennoch, Marelli gibt Solisten und Chören ausreichend Raum für ihre Entfaltung.

Das gilt besonders für Jamie Barton, die ein lebendiges Porträt der Eboli bietet. Da finden sängerisches Temperament und eine kraftvolle, dramatische Stimme zusammen, wenn auch die hohen Töne erkämpft werden müssen – allerdings meist mit gloriosem Ergebnis (O don fatale). Der Don Carlo des Teodor Ilincai verfügt sowohl über den lyrischen Heroismus des verhinderten Freiheitskämpfers als auch über die melancholischen Abschattierungen des unglücklich Liebenden. Schön der sorgfältige Einsatz der Halbstimme, zur Rolle passend die verhaltene Leidenschaftlichkeit. Den Posa gibt Etienne Dupuis als leisetreterischer Beamten und Brillenträger. Dupuis‘ fester, im oberen Register fast tenoral heller Bariton bewährt sich besonders in den Ensembles vom Freundschaftsschwur (mit schönem Mezza-voce-Mittelteil) bis zum Abschiedsduett.

Als blinder Großinquisitor (mit gruselig milchiger Iris) verbreitet Ievgen Orlov die Autorität eines Pitbulls mit schwarz gekörnter, allerdings weit (oder soll man sagen: erschreckend?) offen geführter Stimme (das wird seinem Bass auf Dauer nicht gut tun), die höchsten Töne sind Orlov nicht mit der Vollstimme erreichbar.

Hinter dem gertenschlanken Tebaldo steckt die aparte Abigail Levis (mit keck angeklebten Koteletten), Markus Brück singt den Mönch („Ei voleva regnare sul mondo“), Gideon Poppe den Lerma („Il popolo è in furor!“), die leuchtende Stimme von oben kommt von der von Kirchenmännern schnöde abtransportierten Siobhan Stagg. Die arg gebeutelten Flandern sind mit Thomas Lehman, Philipp Jekal, Seth Carico, Andrew Harris, Samuel Dale Johnson und John Carpenter adäquat besetzt.

Im Graben werden derweil gröbere Brötchen gebacken. Dirigent Roberto Rizzi Brignoli  liefert alles andere als subtile Verdi-Kost, dem Pianissimo verweigert der Italiener gar weitgehend das Existenzrecht, Laut ist bei Brignoli das neue Leise. Er erweist sich als handfester Zimmermann des Verdi’schen Brio (gespielt wird die vieraktige Mailänder Fassung von 1884). Doch was dramatische Bögen und effektive Ballung der Ensembleszenen angeht, kommen Verdi-Liebhaber bei Brignoli durchaus auf ihre Kosten.


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Kreuzluftspiegelnd: Wiederaufnahme Don Carlo“ (hundert11 – Konzertgänger in Berlin)
Zerschlagene Herzen aber klopfen leise“ (Premierenkritik in der FAZ)