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Welche sind die fünf Fehler des Tannhäuser?
- Die Oper beginnt mit der langatmigen Schilderung einer Trennung. Ungünstig.
- Sind Elisabeth und Tannhäuser wirklich ein Liebespaar? Eben.
- Den Venusberg zufriedenstellend zu inszenieren ist unmöglich.
- Venus ist eine Allegorie, keine Frauenperson aus Fleisch, Flüssigkeiten und Knochen.
- „Ein etwas theoretischer Ausgang.“ (Zitat Alfred Kerr).
Die Inszenierung von Kirsten Harms hat ihr tiefsinniges Coming-out, als Wolfram mitansehen muss, wie die tote Elisabeth von den Toten aufersteht wie weiland Lazarus, nur eben als Venus.
Peter Seiffert hat immer noch die vokale Substanz für die große Tannhäusersause zwischen Sinnsuche und Suche nach Sinnlichkeit. Auch optisch eignet ihm, dem ansehnlich Beleibten, immer noch Heldentenorpotenzial. Sein Tenor steckt voll männlichen Metalls. Erstaunlich die nach wie vor gut verblendeten Register. Wie jeder Tannhäuser, der etwas gilt, wirkt Seiffert erst im tristen dritten Akt wie ein richtiges Mannsbild. Selten, aber dann unüberhörbar drückt Seiffert auf die Ausdrucks-Tube: durch mehrnotige Portamenti, durch Stimmausflüge weitab der Ideallinie.
Ricarda Merbeth verkörpert sie beide, Symbolweib Venus und Opferlamm Elisabeth. Aus vokaler wie aus interpretatorischer Sicht ist das eine ziemlich unmögliche Mission. Sie würde möglicher durch Textverständlichkeit. Die fehlt Merbeth – bei hohen Noten. Ansonsten höre ich einen flackernden, höhensicheren Sopran. Höre ich genuinen Ausdruck? Merbeths Freuden klingen wie Merbeths Schmerzen. Ist Wagner schuld oder Merbeth? Merbeth.
Der Bass von Ain Anger (der baumlange Landgraf Hermann) beeindruckt mit immensem Volumen und der Kraft einer Planierraupe. Nur… sein Agieren hat was von einem Fünfzehnjährigen (Theater-AG, Die Räuber). Aber diesem mächtigkantigen Landgrafen möchte man nicht nachts im Tiergarten begegnen. Ganz anders der Wolfram von heute Abend. Wolfram ist ein Leisetreter vorm Herrn, herzensgut, irgendwie unglücklich mit sich selbst, gesungen vom wolligen Bariton James Rutherford. Rutherford (die leicht füllige Gestalt wirkt in Akt 3 wie ein Göring-Wiedergänger) bietet sein Bestes im dramatischen „O Himmel, lass dich jetzt erflehen“.

Ich hielt früher den Sängerkampf im zweiten Akt für Wagners übelstes Biedermeier. Das mag sein. Dennoch geht der ganze Sänger-Hokuspokus unter die Haut. Der Quintsprung aufs D in Wolframs „lieblichster Blüten“ ist sublim. Heuer singt Clemens Bieber Walthers Lied vom Bronnen mit spröder Kantabilität. Unter den Sängerkriegern schlägt sich Noel Bouley als energischer Biterolf („Für Frauenehr‘ und hohe Tugend…“) am besten. Das Quintett der Songcontester vervollständigen Jörg Schörner (Heinrich der Schreiber) und Alexei Botnarciuc (Reinmar).
Der Hirt in Gestalt von Adriana Ferfezka lobt die heidnische Frau Holda mit gärig-süßem Sopran.
Am Pult macht Generalmusikdirektor Donald Runnicles Wagnerdampf. Der Einzug der Gäste ist schön straff – musikalisch zumindest. Die Streicher sind heute gut aufgelegt, spielen melancholisch, wenn nötig, und aufgekratzt, falls gefordert. Dann wieder hat Runnicles die Ruhe weg. Das Finale des dritten Akts hat gedrängten Schmiss, schade übrigens, dass das Ende der Oper immer so schnell kommt. Die heikle Aufgabe, das chordurchtoste und wuchernd dicht komponierte Finale des zweiten Aktes zu gliedern, zu stufen wartet freilich unter Runnicles ihrer Lösung.
Ain Anger war in der Tat das Phänomen des Abends. Einen so nachtschwarzen Landgrafen hat man lange nicht gehört. Nicht umsonst zählen Hunding, Hagen und Pimen zu seinen signature roles wie man neudeutsch so schön sagt. Man darf sich auf seinen Boris an der DO freuen. Dennoch gebührte wieder einmal Peter Seiffert ebenso großes Lob. Wenn man bedenkt, wie viele „Dienstjahre“ Seiffert auf dem Buckel hat, so sind sein Tannhäuser, sein Lohengrin, sein Siegmund, mit kleinen Abstrichen auch sein Parsifal immer noch großartige Wagner Porträts.
Schön, dass Sie auch die „kleineren“ Rollen gebührend bedenken. Bevor man mit James Rutherford zu hart ins Gericht geht, sollte man freilich bedenken, dass der Wolfram eine der heikelsten Bariton Partien Wagners ist. Ricarda Merbeth habe ich viel positiver gehört, auch besser als Anne Schwanewilms jüngst in der Staatsoper.
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