Die finnische Komponistin Kaija Saariaho hat es geschafft. Rund ein Dutzend Aufführungen hat ihre erste Oper L’amour de loin seit der Salzburger Uraufführung im Jahr 2000 hinter sich (Kent Nagano dirigierte, Dawn Upshaw sang). Und nun die Premiere an der zutiefst altmodischen Metropolitan Opera. Respekt.
Nur, was macht den Neue-Musik-Schlager so trendy?
L’amour de loin („Die Liebe aus der Ferne“) ist die Fernbeziehungs-Oper schlechthin.
Troubadour Jaufré Rudel aus Aquitanien (heutiges Biarritz und Umgebung) leidet unter dem Rich-Guy-Problem (Libretto Amin Maalouf). Er hatte alles und jede, aber irgendwann ist auch für einen Rudel Schluss mit lustig. Da berichtet ein Pilger von einer zwitschersüßen Libyerin namens Clémence. Der schlappe Jaufré fängt sofort wieder Feuer. Flugs eilt der Pilger nach Libyen und erzählt Clémence, die zufällig von feinstem Tripoliser Adel ist, von dem blaublütigen Single. Clémence spürt nach kurzer Warmlaufzeit ebenfalls ein gewisses Prickeln. Jaufré hält es da nicht mehr in der Heimat. Doch das Schicksal schlägt hart zu (hätte er nur die „Tipps für die Distanz: So gelingt die Fernbeziehung“ gelesen). Rudel kommt sterbekrank in Tripolis an, der Minnesänger stirbt in Clémences Armen.
Melancholisches Parlando
Thematisch ist das Tristan-Territorium, Geist und Stimmung erinnern an Le Vin herbé des Schweizers Frank Martin. Das Ganze hat übrigens fünf Akte als wär’s ein Meyerbeer, ist aber zwei Stunden schlank.
Mancher mag nun Folgendes denken. Was ist mit der Metropolitan Opera los? Spielt die Met keine ollen Repertoire-Kamellen mehr? Gilt doch am Hudson alles, was nach Turandot & Arabella entstand, als unzumutbar und unspielbar. Richtig gedacht. Doch einmal pro Saison ermannt sich Met-Chef Gelb, der mit Argus-Augen über das Mehrere-Hundert-Millionen-Budget wacht. Dann gönnt er sich eine finanziell unergiebige Neue-Musik-Oper. Es sind eben auch an der Met Dinge möglich, die in Europa jedes Stadttheater meistert.
Es dürfte Mister Gelb in den Kram passen, dass L’amour de loin viel klösterlich-kontemplatives Gepräge besitzt (Der Spiegel urteilte im Uraufführungsjahr: „schwülstiger Text zu monotonem Schönklang„). L’amour de loin ist ganz spartanisch-zeremoniöse Literaturoper, für die Saariaho einen sphärenmusikalisch inspirierten Strom aus rieselnden Farbschichten zusammenbastelt. Seltene Ausbrüche schaffen Gegengewichte. Das entwickelt einen betörenden Sog, evokative Triller der Holzbläser und helle Perkussion bereichern das Timbre apart.
Der Gesangsstil ist zum melancholischen Parlando gedämpft. Darin findet sich viel Debussy-Pelléas, aber auch karg Mittelalterliches. Die finnische Dirigentin Susanna Mälkki setzt das mit feinem Sensorium für klangdramaturgische Wirkungen souverän um.
Die Sänger: Susanne Phillips, Eric Owens, Tamara Mumford
Eric Owens läuft als liebestodkranker Jaufré Rudel im goldbestickten Jäckchen auf und bietet ein eindringliches Porträt, obgleich sein mummeliger Bariton Gift fürs Französisch ist – der Uraufführungs-Rudel Dwayne Croft sang idiomatischer. Owens so große, flexible und energische Stimme klingt hin und wieder doch unbequem, zumal Kaija Saariaho die Tessitura der Rolle recht hoch legt. Ein lyrischer Bariton, Gounod-geübt und Opéra-lyrique-bewährt, wäre eventuell die bessere Wahl gewesen: Owens ist an der New Yorker Met ja der Alberich vom Dienst, in Chicago gar als Wotan präsent.
Rudels hoheitsvolle Geliebte Clémence wird von Susanna Phillips gesungen, die in einer Roaring-Twenties-Robe steckt. Frau Phillips singt sich durch elegisch schwebende Linienzüge von berückender Leuchtkraft, und das auch noch extrem höhensicher und Pianissmo-fein. Kaija Saariaho schrieb Clémence ja für die gläserne Stimme Dawn Upshaws.
Tamara Mumford glänzt als hilfreicher Pilger (Hosenrolle!), wurde aber zu ihrem und meinem Unglück in eine mit Goldklunkern besetzte Tunika gesteckt, deren Stil erfahrene Opernfans ins Salzburger Festspiel-Milieu der Vierziger und frühen Fünfziger verorten würden. Als selbstloser Liebesbote, eine Art Kurwenal vom Golf von Biskaya, findet Mumford großen Beifall. Ihre Mezzo ist mit betörenden Klangfarben gesegnet. Timbre und hohe Lage erinnern an Magdalena Kožená. Eine gute Leistung.
Die Inszenierung von Robert Lepage – der laut Alex Ross mit seinem Met-Ring die „most witless and wasteful production in modern operatic history“ verantwortete – legt über die Bühne ein horizontales Netz aus LED-Lichtstreifen, die Technik-Freaks mit Farbwechseln begeistern. Auf diesem Meer aus LEDs (28.000 an der Zahl, so die Met stolz) schippert Pilger Tamara Mumford auf schlanker Barke zwischen Aquitanien und Libyen hin und her. Als Blickfang dient jedoch Robert Lepages monströse Stahltreppenschaukel, bei der sich spontan die zwei Assoziationen 1. Omas Treppenlift und 2. die bekannte Oktoberfest-Attraktion („XXL-Mega-Schaukel Konga“) aufdrängen. Der Chor nutzt die LED-Streifen zu dekorativen Auftauchmanövern im Bademützen-Kostüm.
Was die Bewertung der Saariaho-Oper angeht, neige ich bei aller Faszination, die von Partitur und der neuen New Yorker Produktion ausgeht, doch dem von Klaus Umbach im Spiegel geäußerten Urteil zu.
Kritiken/Reviews zu Kaija Saariahos L’amour de loin an der Met:
„A Newly Relevant L’Amour de Loin at the Met“ (nytimes.com)
„Lapage Holds Met Opera’s New L’Amour de Loin Hostage“ (zealnyc.com)
„Songs Across the Sea“ (wsj.com)