
Philipp Stölzls verquerer Troubadour ist auch 2016 noch der Volltreffer ins Kontor inszenatorischer Schnarchnasigkeit, der er 2013 schon war. Auch wenn sich Tempo und Schärfe bei der aktuellen Wiederaufnahme ein bisserl abgeschliffen haben.
Die Mär vom unsinnigsten aller Libretti entlarvt Stölzl mit einer straighten Regie-Handschrift als unhaltbar. Ausstattungsplunder sieht man nicht, zumindest keinen konventionellen. Aber wenig zu sehen ist auch vom klassischen Regietheater. Die historischen Kostüme (Ursula Kudrna) drehen ins Bizarre, Gesten ins Hochaffektierte (Co-Regie: Mara Kurotschka). Also: optische Reize ja, Hypertrophie der Handlungsstränge, nein. Stärker als bei der Premiere fällt jedoch auf, dass Stölzl neutral zu zentralen Trovatore-Themen steht. Ein Beispiel: Wie hält es Verdi (wie halten es wir) mit der im Stück krass grassierenden Grausamkeit? Da stellt Stölzl auf Durchzug, zieht seinen Stiefel durch, macht Regiearbeit ex negativo.
Zu Anna Netrebko. Als Reifrockskulptur schlittert sie über die angeschrägte Bühne. Ich würde nicht einmal sagen, dass ihr Sopran das Schillertheater dominiert. Dolora Zajick (Azucena) hat die größere Stimme. Aber Netrebkos Stimme ist gemischt aus Leidenschaft – und Kontrolle. Astrein gelingt die Auftritts-Kavatine „Tacea la notte„. Typisch für Netrebko ist das buttrig-zähflüssige Legato im in Sekundschritten aufsteigenden Poco Animato („dolci s’udiro“). Der schweren Physis ihres Soprans fallen Zierfiguren nicht ganz leicht. Doch ihr Sopran ist bis auf die Spitzen vollstimmig, blühend im Ton.
Beim tiefliegenden Es in „Egliera, egliera desso“ oder dem aus imposant gurgelnder Tiefe kommenden „Tu vedrai che amore in terra“ kann ich mir eine genaue Vorstellung davon machen, wer im Haushalt Netrebko die Hosen anhat. Netrebko hat hier die Autorität einer heißen Sowjet-Traktoristin. Es ist wohlbekannt, dass Netrebko eine disziplinierte Arbeiterin ist. Charakteristisch dafür ist die penible Kontrolle über die Klangwirkungen ihrer Stimme. Wie sorgsam ist die Dynamik gehandhabt.

Es ist kaum zu glauben, wie viel klugen Herzschmerz in „D’amor sull’ali rosee“ Verdi hineinkomponierte. Anna Netrebko durchtränkt die Arie mit raffinierten dolorosen Affektgesten. Trotz großer Stimme sind da Nuancen: Da ist das Gefühl für das Ausspinnen des Klanges, da sind schwebende Piani, ein feines Fil di voce, gut definierte Triller. Die Spitzen-B’s und -As‘ schimmern materielos.
Wenn Netrebko in „Mira, di acerbe lagrime“ von den Qualen der Liebe singt, setzt sie nicht sämtliche Tüpfelchen auf sämtliche I’s, wie Alfred Kerr sagen würde. Schwung und Dringlichkeit sind da, weniger jedoch die Ausbrüche der Leidenschaft. Und Vokale klingen nicht restlos klar, das führt zu unklarer Diktion und Vokal-Kauderwelsch. Aber dennoch eine große Leistung der russischen Sopranistin.
Den eifersuchtsgeplagten Grafen Luna singt Bariton Simone Piazzola. Ordentlich ist die Linienführung, einige ruppige Akzente sind zu verschmerzen („Il balen del suo sorriso„). Auffällig ist die feinkörnige Schwärze der Stimme. Der Klang kann beides haben: Fülle und Trockenheit. Das Timbre erinnert an fachmännisch getrocknetes Eichenholz.

Der Manrico von Yusif Eyvazov, dessen prominenteste Nebenrolle derzeit die des Gatten von „Trebs“, wie Netrebko von Fans gerne genannt wird, ist, dürfte die interessanteste Personalie des Abends sein. Was ich von Eyvazov kannte, sind die helle Stimmfarbe und das enge Vibrato, was in Kombination zum Eindruck von Meckern führen kann. Auch Geschmacksunsicherheiten befürchtete ich, ebenso eine Stimme, die oben offensteht wie ein Scheunentor, bzw. wie eine Dachluke, wie man gerechterweise mit Blick auf das nicht allzu große Volumen seiner Tenorstimme sagen muss. Größtenteils waren die Befürchtungen unbegründet. Yusif Eyvazov hat hörbar an Technik und Stil gearbeitet. Das hohe C – dünn wie Wassersuppe – in „Di quella pira“ ist der einzige Tiefpunkt seiner Darbietung. Aber sonst höre ich einen Tenor, der über eine schlanke Höhe verfügt, über eine Mitte mit Latin-Lover-Qualitäten und melancholischen Schmelz beim Vortrag.
Geheimes Zentrum des Abends ist die Azucena von Dolora Zajick. Paradoxerweise muss man zugeben, dass die berühmte Canzone „Stride la vampa“ (Akt 2, 1. Bild) am wenigsten gelingt. Zu uneben, zu unstet die Stimme, riesig die Registerunterschiede. Alles andere ist singulär: ein Brustregister so tief wie der Mariannengraben, ein Vibrato wie ein Bohrmaschine, eine Stimme wie ein Traktor. Dabei kann Dolora Zajick auch Linie, ihr Gefühl für dramatische Gestaltung ist exquisit. Ein großes Erlebnis, hat man sich erst einmal an Dimensionen und Eigenarten ihres Mezzos gewöhnt.

Einen idealen (und glatzköpfigen) Hauptmann Ferrando singt Adrian Sâmpetrean mit sehr guter vokaler Beherrschung und gleichmäßiger Tonproduktion. Inez liegt bei Anna Lapkovskaja und ihrem frischen Mezzosopran in sorgfältigen Händen, der Ruiz bei Tenor Florian Hoffmann.
Die gestalterischen Visionen Daniel Barenboims kennt man. Beim jüngsten Berliner Troubadour hält sich Barenboim zurück. Das pastose Zwielicht einer Einleitung hier, lebhafte Holzbläserschnipsel da, die übliche Dosis Genie beim Abphrasieren dort, mehr hört man kaum.
Grandiose Netrebko! Mit der Inszenierung konnte ich nicht viel anfangen. Das ging aber vielen so. Man muss sich als Regisseur entscheiden, ob man sich ernsthaft mit Verdi auseinandersetzt oder Handlung und Personen ins Lächerliche zieht – und damit auch die Musik. Respekt für die Sänger, dass sie eine solche unnatürliche Sicht unterstützen. Bravo an alle Sänger! Besonders Adrian Sampetrean hat mir ausnehmend gut gefallen. Das do di petto von Eyvazov war durchaus respektabel, und bis zum Schluss durchgehalten. Der donnernde Applaus zeigt, dass die Leute das erwarten und zu schätzen wissen, wenn der Tenor das hohe C singt. Auch das gehört zur Oper, selbst wenn Verdi nur ein G vorschreibt.
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Das Eintrittsgeld hat sich gelohnt. Spannend war es deshalb, weil sehr unterschiedliche Sängerpersönlichkeiten zusammensangen.
Netrebko die Belcanto-Sängerin mit großem Herz
Zajick die Altmeisterin, die den Laden immer noch rockt
Eyvazov schlägt sich mit seiner Tenorfrisur sehr achtbar
Sâmpetrean sehr präsent, mit fast perfekter Leistung
Piazzola als immer bedrohlicher Fiesling
Aber wirklich, finde die Preise total in Ordnung. Saß drittletzte Reihe Parkett, man hört super, hat immer noch das Gefühl nahe an der Bühne zu sein, kein Vergleich zu den Mega-Kisten Wien oder München.
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Sah Barenboim nicht schmaler im Gesicht aus?
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Ja, das sah ich am Samstag schon, am Montag nun wieder. Ich dachte: „Mi trema un poco il cor“. Doch dirigiert hat Barenboim lebhaft wie immer.
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Netrebko sang Tacea la notte in Salzburg noch detaillierter. Andererseits klang ihre Stimme gestern in der Tiefe noch volltönender und befriedigender als ich es von Salzburg in Erinnerung habe. Und Hut ab vor der großen Dolora Zajick, die sich in die Partie wirft als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Francesco Meli gefiel mir als Manrico besser, er hat einfach das italienische Kolorit in der Stimme und ist als Tenor sicherlich kompletter. Aber Sie haben Recht, in der Mittellage hat Eyvazov zugelegt.
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I love it
http://annanetrebko.com/en/category/watch-and-listen/
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Eine furchtbar steife Inszenierung von Herr Besserwisser Stölzl. Was soll das, Parodie? Manrico sieht aus als käme er direkt aus der Waschmaschine. Was für ein Unsinn. Warum transportiert der Regisseur die Handlung in die Zeit des spanischen 16. Jahrhunderts? Das Höchste der Geschmacklosigkeit ist, Anna Netrebko auf dem Rücken liegend singen zu lassen!! Aber Netrebko bekommt kein Regisseur der Welt klein. Ich war auch begeistert von Yusif Eyvazow. Barenboim immenso!
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Piazzola zehn Mal besser als Domingo. Und Marina Prudenskaya hat mir vor drei Jahren viel besser gefallen als Dolora Zajick. Wenn ich an den Trovator von damals zurückdenke so war der allerdings viel zahmer als der Mann von Netrebko
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Netrebko war in Berlin genial, leider der Kritiker an Traktorfobie?
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In der dritten und letzten Vorstellung konnte von „dünn wie Wassersuppe“ für das Ende der Manrico-Cabaletta nun wirklich nicht die Rede sein. So ein festes, lang angehaltenes und volltönendes C habe ich seit den Tagen von Bonisolli nicht mehr gehört, auch wenn es im Grunde nicht so darauf ankommt. Trotzdem entfuhr mir ein „wow“. Und auch „Ah si ben mio“ war stil- und gefühlvoll gesungen. Ich hatte den Eindruck, hier kam Eyvazov endgültig aus dem Schatten seiner berühmten Gattin heraus. Piazzola war leider an diesem Abend kaum zu hören, ohne Biß. Vielleicht war er indisponiert. Oder er ist besser für die ganz lyrischen Rollen wie Germont oder Posa geeignet mit seinem einzigartigen, schwebenden Timbre. Ist ja aber ganz jung und hat noch viel Zeit.
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