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Nachklapp zum österlichen Parsifal-Rummel.

Das ist wie Komaglotzen, diese endlosen Stunden, von Angesicht zu Angesicht mit diesem alterslosen Alterswerk. Heute aber nicht live wie zwei Mal in Berlin, sondern per Live-Stream aus der Wiener Staatsoper.

Das Vorspiel, Akt I. Flüssiges Musizieren, man sieht klar bis auf den Grund der Partitur. Die weichen Pianissimo-Zweiunddreißigstel der Streicher sind eine Labsal. Sehr sachliches Glaubensthema.

Die Inszenierung von Christine Mielitz (es heißt „nach einer Regie von…“) ist nicht so schlecht wie die Spatzen von den Wiener Dächern pfeifen. Mielitz bringt die Gralsritter in einem Setting unter, das nach wenig Freude und nach viel Charakterfehlern ausschaut. Halb Irrenhaus, halb Burschenschaftler-Fechtboden. Eh klar, die Gralsritter sind Kundry-Grabscher, während die gesteppten Fechtjacken nach bösem Männermief muffeln. Die großen Entwicklungslinien freilich – Parsifals Reifeprüfung und Erlösungstat, Kundrys tiefer Fall – lässt auch die Harry-Kupfer-Schülerin Mielitz unangetastet.

Falk Struckmann gibt als Gurnemanz mit gediegenem Bauch unter gesteppter Fechtjacke ein prächtiges Bild ab. Der vom Amfortas (2011) zum heutigen Gurnemanz aufgestiegene Struckmann nennt Textdeutlichkeit und Intonationssicherheit sein eigen. Ich mag seine knorrige Kantabilität. Als erfahrener (Sänger-)Haudegen hat er beides, ernste Würde, und milde Entspanntheit. Struckmanns vokale Linie ist rau, nie indes reißt der deklamatorische Zusammenhang. Besonders gelingen Struckmann die Stellen verhalten sich verströmender Expressivität („die heilig edle Schale, darein am Kreuz sein göttlich Blut auch floss“). Im dritten Akt ist bei ihm dann desöfteren „nicht mehr genug Wasser auf der Rutsche“ (Zitat Mehmet Scholl).

Michael Volle stellt einen von Lebensqual hart bedrängten Amfortas auf die Bühne. Schön die Festigkeit seiner Stimme. Volles Baritontimbre ist von störrischen, metallischen Stimmpartikeln durchschossen. Expressiv geht Volle aufs Ganze: seine Erbarmensrufe sind harte Koste für Belcanto-Wagnerianer, doch aus der Substanz des Werkes herleitbar.

Der Parsifal Stephen Goulds missfällt mir. Goulds Wagnerrollen zeichnen sich ja bisweilen durch eine eher geringe Komplexität aus. So auch heute. Im zweiten und dritten Akt findet Gould zu gewohnter Stärke, will sagen makelloser Solidität. Es fehlt letztendlich in den Ausbrüchen des zweiten Aktes der richtige Riecher für die expressive vokale Geste.

Kundry Violeta Urmana treibt im ersten Akt im Muslima-Look ihr Unwesen, im zweiten als Glitzergalarobendame, im dritten als ungewöhnlich stämmige Büßerin. Urmanas Stimme besitzt wenig Rundung oder technischen Finish, doch Farbe und Kraft für die heikle Partie. Die im Forte scharfe Höhe – geschenkt.

Der junge Boaz Daniel singt einen ordentlichen Klingsor, Ryan Speedo Green einen rauhalsigen Titurel.

Die Knappen, die noch nicht grün hinterm Ohr sind und sich Gurnemanz‘ sanfter Zurechtweisung ausgesetzt sehen, singen Ulrike Helzel, Hyuna Ko, Joseph Dennis, Peter Jelosits. Die Gralsritter singen Michael Roider, Il Hong. Die rotgewandeten Blumenmädchen verkörpern Ileana Tonca, Regine Hangler, Margaret Plummer, Annika Gerhards, Caroline Wenborne, Zoryana Kushpler.

Das Wiener Staatsopernorchester spielt unter Ádám Fischer klar und sauber. Gelöst und frei lösen sich Schlenker und Gesten der Violinen. Die Textur lichtet sich bis zu schlanker Kammermusikalität (z.B. jene fünf Takte Streichersatz in der ersten Verwandlungsmusik), verliert indes nie Zusammenhang. Es ist eindrucksvoll, wie im Finale von Akt I sich erregte Violinen und flauschige Bratschen aus dem großen Apparat lösen, um wenig später wieder in den Klangstrom zurückzusinken. Satt, doch transparent und schlank geführt tönt das Blech.

Die rasch in Szene gesetzte Verwandlungsmusik im ersten Akt bleibt unter diesen Bedingungen unter ihren Möglichkeiten. Ebenso verhält es ich mit einigen Chorstellen. An den kessen Geschwindschritt des Finales I muss man sich erst gewöhnen. Überhaupt finde ich wiederholt Einsätze des Chores „Zum letzten Liebesmahle“ ungenau. Womöglich liegt hier jedoch nur eine ungewöhnliche, die Freiheit der Einzelstimme ausstellende Konzeption von Chorgesang vor. Eberhard Friedrich verfolgte in Berlin Unter den Linden ja Ähnliches.

Ádám Fischer deutet auch das „Sehr langsam“ im Vorspiel zu Akt III sportiv um, ganz zu schweigen von der fast kecken Auslegung des folgenden „Noch langsamer werdend, ermattend“. Dennoch ist sein Dirigat ein Musterbeispiel an deutender Klarheit und genauester Sorgfalt.

Diese Wiener Philharmoniker hätte man ja auch gerne in Berlin.