Seltsame Opernwelt.

Kann man sich den heißblütigen Spaßvogel Rolando Villazón am Südpol vorstellen? Den kultivierten Gentleman Thomas Hampson in der Antarktis?

Miroslav Srnkas „Doppeloper“ South Pole, deren Uraufführung nun an der Staatsoper München zu sehen ist, erzählt den Wettlauf zum Südpol. Srnkas Männerpolaroper – Libretto Tom Holloway, Frauen spielen da eher eine Nebenrolle – ist dabei konsequent bipolar aufgebaut: Scott gegen Amundsen. Hier Briten (in schwarz, nur Tenöre), dort Norweger (in grau, nur Baritone). Doch der Zuhörer merkt schnell, dass Männer auch bei bösen Minustemperaturen hauptsächlich über Frauen reden. Wobei diese prompt durch die psychologische Hintertüre als Traumfiguren die Bühne entern und den beiden tapferen Polarhelden das Leben in der Einsamkeit schwer machen („You know, my bed is warm“). Zum Glück für den Zuschauer, denn trotz tiefen Einblicken ins polare Teambuilding („Get him out of here“) oder dem einen oder anderen Kältetoten („He is dead“) sorgt die Starre des eiswüstigen Spielraumes nicht gerade für viel Abwechslung.

Die Regie von Hans Neuenfels pocht in den glitzernden Bühnenweiten des Südpols auf exakte Ordnung. Ein Balken auf dem Bühnenboden trennt fein säuberlich Briten und Norweger. Neuenfels hasst störende Details. Er liebt optische Strenge. Er liebt klinisches Weiß. Eine gelungene Regiearbeit.

Rolando Villazón (Scott) – nett das Stupsnäschen unter der Schneebrille – erwärmt mit expressivem, intensiv deklamierendem Tenor das eisige Regie-Weiß um etliche Dutzend Grad. Die fordernde Rolle beansprucht Villazóns Kräfte hörbar. Thomas Hampson leiht Amundsen seinen superben, mächtigen Bariton sowie ein herrlich kantiges Entdeckergesicht. Mojca Erdmann, Landlady und Amundsen-Freundin, lässt versierte und eindringliche Sopranhöhen hören, während Scott-Ehefrau Tara Erraught den geliebten Heldengemahl mit betörend klarem Mezzo umsingt.

Die weiteren Polareroberer singen mit großem Engagement Tim Kuypers, John Carpenter, Sean Michael PlumbKevin Conners, Matthew Grills, Dean PowerJoshua Owen Mills und Christian Rieger.

Die Musik?

Der freundliche, kaum durch Missfallenskundgebungen getrübte Schlussapplaus zeigt, dass die Musik des tschechischen Komponisten Miroslav Srnka beim Premierenpublikum Gefallen findet. Kein Wunder. Srnkas minimalistisches Idiom erinnert durchweg stark an John Adams Kultklassiker Nixon in China.

Srnka frickelt um die harten Polarhunde Villazón und Hampson eine federleichte Musik aus spröden Klangkokons, polyphon rieselnden Weißschleiern und Mikro-Stimmengeflechten zusammen. Srnka arbeitet mit einer Klangfarbenpalette von delikater Monochromie. Neben recht unterhaltsamen, rezitativischen Passagen, die das Singen von geographischen Koordinaten zu einer neuen Kunstform erheben, fallen die vokalen Linien auf, die sich in eklektischer, doch wohltuend wortverständlicher Kantabilität aufwölben.

Das kann mitunter blässlich-neutral wirken, findet nicht selten aber zu einer angenehm komplexen Verschränkung von cooler Simpleness und Klangtüftelei. Und doch, ist South Pole nicht einfach schrecklich langweilig? Der Rezensent ist kein Experte für Musik im antarktischen Stil, doch Miroslav Srnkas und Tom Holloways hier bitterernster und dort ironischer Polarjux scheint mir insgesamt doch etwas leichter zu wiegen als John Adams‘ oben erwähntes Opernschwergewicht.

Kirill Petrenko animiert das Bayerische Staatsorchester zu einer ausgefeilten, wunderbar detailreich ausgeleuchteten Interpretation.

Die Bayerische Staatsoper München sorgte anlässlich der Uraufführung für eine umfassende multimediale Einrahmung, die zumindest hierzulande einzigartig ist. So lässt sich eine Uraufführung zum Erfolg peitschen.

Doch warum zum Teufel redet jeder von „Welturaufführung“? Habe ich etwa die auf dem Neptun stattgefundene wahre Uraufführung von South Pole verpasst? Was soll’s. Lassen wir Arte-Moderatorin Annette Gerlach jeden zweiten Satz mit „Welturaufführung“ beginnen und grämen wir uns nicht zu lange darüber, dass wir nur die Welturaufführung gesehen und die Weltallurauffürung offensichtlich verpasst haben.