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Die Staatskapelle Berlin im Konzerthaus.
Mozarts d-Moll-Klavierkonzert KV 466 spielt Daniel Barenboim überlegen und durchdacht.
Einige Beobachtungen.
- Die Staatskapelle überrascht mit schläfrigem Orchester-Intro (wahrscheinlich nicht geprobt).
- Barenboims Klavierton: klangschwer, plastisch, sinnfällig
- Barenboims Passagen zeigen nicht jenes kristallin Pollini-hafte Ebenmaß, das die Interpretationen des italienischen Pianisten kennzeichnet. Aber sie besitzen Leuchtkraft, untrügliches Gefühl für Gestaltung und dramatische Wahrheit.
- Die Rubati könnten seltener UND weniger breit sein (z.B. 2. Mal Solothema, 2. Satz).
- Romance (2. Satz): Barenboim zerreißt das erste Thema nicht durch Überbetonung der rhythmischen Nachsatz-Figur der rechten Hand. Gut.
- Finale: Die düster-symphonischen Orchestertutti haben bewundernswürdige Energie (gute Pauke, und es wurde exzellent geprobt).
- Es werden die Beethovenkadenzen gespielt, besonders schön das dynamische Rück – und Vorschwingen in der knappen Finalkadenz.
Der ultimative Qualitätstest ist die Ritardando-Passage der Romance, mit dem der expressive g-Moll-Mittelteil die Rückkehr zum Anfangstempo vorbereitet. András Schiff scheitert hieran 2012 kläglich (mit den Philharmonikern). Kissins Gefühl für Prozesse ist an dieser Stelle das Maß der Dinge. Barenboim kommt dem nahe. Er zeigt, wie weit der Raum sein muss, den Mozart in diesen Takten durchquert haben will.
Bruckner 5.
Die Staatskapelle zeigt streicherüppigen, blechgestützten Klang. Barenboim bevorzugt ein tendenziell rascheres Tempo. Jahrzehnte der Brucknererfahrung und instinktive Musikalität verbinden sich zu einer hörenswerten Brucknerinterpretation.
Meine Beobachtungen.
Satz 1:
Barenboim findet mehr und mehr Gefallen am Gar-Nicht-Dirigieren. Beim Übergang zum zweiten Thema lässt er die Arme hängen und das Orchester spielen. Die Durchführung verbindet mustergültig Freiheit und Prozess. Hier herrscht größte anzunehmende Wagnerferne. Heftiger Repriseneintritt, n’est-ce pas? Die im Vergleich zur Exposition gestraffte Reprise überrascht mich jedes Mal aufs Neue angenehm.
Satz 2:
Ein einsamer Höhepunkt des Berliner (sowie europäischen und generell internationalen) Musiklebens ist die erste blühend-glühende Orchesterexpansion des Satzes. Barenboim hat goldrichtiges Tempo.
Satz 4:
Der nicht durch kontrapunktische Enthaltsamkeit auffallende Finalsatz ist besser als sein Ruf. Ich gestehe indes, dass ich bei all dieser verteufelten Kontrapunktik jedes Mal den Repriseneinsatz verpasse. Selbes Problem in der blechgepanzerten Coda, einem Traum in F-Dur: Ich habe als Hörer nicht die Spur einer Ahnung, wann genau die Rückkehr zur Tonika „da“ ist. Dafür leuchtet es mir heute in der drahtigen Coda zum ersten Mal unmittelbar ein, warum eine Tuba bei Bruckner ein absolutes Must-have ist (Solo-Tuba Thomas Keller).
Barenboim ist erkältet, hustet in die vorgehaltene Hand, dann auch ins Tücherl.
Solo-Fagott bei Mozart: Mathias Baier (oder?). Solo-Fagott bei Bruckner: Ingo Reuter.
Einige Stellen, wie die erste Fortissimo-Expansion des Adagio, einige Crescendi der Kopfsätze und des Scherzo, die Coda des Finales werden wohl – berlin-weit wie international – nicht fesselnder gespielt.
Es ist schon erstaunlich, wie homogen die Staatskapelle agieren kann. Warmer runder Klang, sattes legato, das lädt zum Träumen ein. Dazu kommt ein leidentschaftlicher Gesamtduktus – das passt zu Wagner, Bruckner, etc. etc. Solistisch ist die Staatskapelle nicht auf Augenhöhe mit den Philharmonikern, was nur natürlich ist, nicht zuletzt da die Solisten an der Herbert-von-Karajan-Straße ein Vielfaches verdienen. Die Unterschiede bei der Intonationsreinheit zwischen den Orchestern stören nur Puristen (ich spreche hier nur vom Konzertbetrieb). Klar kann die Staatskapelle nicht alles. Aber das romantische deutsche Repertoire ist ähnlich wie bei den Dresdner Kollegen aufgrund des dunklen Klangideals bei der Berliner Staatskapelle in besten Händen.
Wenn alles stimmt, ist das Hornquartett der Staatskapelle so frisch und klangsatt wie nur was.
Wenn ich die Wahl hätte, würde ich eindeutig Pollini wählen, aber Barenboim kann in der Tat mehr als die allermeisten seiner Kollegen können. Gerade im Finale und im Intermezzo des langsamen Satzes war hin und wieder mehr Durchwurschtelei als klare Kante zu beobachten.
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Barenboim besser als Schiff? Da lachen ja die Hühner.
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Dass Schiff BESSER spiele, sage ich nicht. Ich meine, dass Schiffs glossierender Stil, der jede Affekttönung, und sei es ein Pianissimo, in einen theatralischen Affekt verwandelt, kein idealer Interpretationsansatz ist.
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