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François-Xavier Roth dirigiert.

Edgard Varèses Ionisation ist schön. Aber als das Orchester bei Lullys Suite Le Bourgeois Gentilhomme ist, höre ich, dass die Behandlung des Schlagzeugs bei Lully, dem alten Haudegen, klarer und treffender ist. Die Lockerheit Franz Schindlbecks am Tamburin, das gefällt mir.

Berlioz‘ Les Nuits d’été und Ravels La Valse streiten beim Publikum um den Titel „Star des Abends“. Meine Wahl fällt auf Berlioz. Punkt eins. Die Instrumentation ist sensationell. Punkt zwei. Der Mezzosopran von Anna Caterina Antonacci, der durch ein klangreiches oberes Register und ein attraktives Espressivo gefällt und gleichsam wie ein kontrolliertes Feuer brennt, das die Texte Théophile Gautiers wärmt. Die Stimme mag früher beweglicher gewesen sein; das lebhafte Vibrato deutet auf Temperament, gefährdet im Forte und Mezzoforte jedoch die Sauberkeit der Linie. Eindrucksvoll ist Antonaccis stimmliche Expansion in Le spectre de la rose und in Sur les lagunes. Unter stilistischem Gesichtspunkt könnte zu diskutieren sein, ob die Italienerin Sur les lagunes zu Recht wie eine Arie aus Don Carlo singt. In Sachen idiomatisches Französisch sowie sprachlicher Artikulation ist Frau Antonacci gut, aber pas exceptionnel, Antonacci gehört zur Fraktion „zuerst der Klang, dann die Worte“. Im Piano reißt der Atemstrom beim Phrasenende bisweilen abrupt ab. Doch das dunkel getönte, dichte Timbre der Stimme sichert der Aufführung die Authentizität.

Aber Berlioz‘ Instrumentation ist sensationell. Ich muss das Zeug schon lange nicht mehr gehört haben. Wenzel Fuchs an der Klarinette (ich höre Fuchs lieber als Ottensamer. Einmal darf man so was sagen). Marie-Pierre Langlamet muss niesen.

Debussys so sicher wie locker gefügter Première Suite d’orchestre mag man die Entstehungszeit – Anfang 1880er – kaum abnehmen. Die Sätze heißen Fête, Ballet, Rêve sowie Cortège et Bacchanale. Die Instrumentation von Rêve stammt nicht von Debussy, sondern von Philippe Manoury. Schon das graziöse Fête, das konventionellste Stück, entfaltet sich frei. Ballet hat einen reizenden Mittelteil. Rêve bietet frei ausschwingende Linie. Das simpel geschnittene Motto des Blechs aus Cortège et Bacchanale offenbart erst im plastischen Schlussteil, wie gut es klingt. Die philharmonischen Streicher spielen mit Gefühl.

François-Xavier Roth hat einen Stil. Roth disponiert klar. Sein Stil führt zu sorgfältig vorbereiteten, sehnigen, linearen Ergebnissen. Lully klingt sehr gedämpft, die frischen Crescendi indes haben musikalische Fülle. La Valse kennzeichnet ein klar und kantig ausgeleuchtetes Tutti, dem man dirigentische Entschlossenheit anmerkt, ohne dass ich mich ehrlicherweise über das Ausbleiben einer zufriedenstellenden klanglichen Synthese hinwegtrösten kann. Andererseits frage ich mich während des Konzerts, wie Roths unleidenschaftliche Gestik Debussys leidenschaftlichen Klang hervorbringt.

Herr Roth kann gerne wieder kommen. Nicht unbedingt mit Bruckners Achter, aber mit Messiaen, Mendelssohn, Purcell, Strauss Till Eulenspiegel oder Don Juan. Parsifalvorspiel von Roth wäre auch hübsch.