Schumann Sinfonie Nr. 4 in der ersten Fassung
Mein bisheriger Eindruck von Brahms-Schumann-Zyklus ist der: Schumann ist wagemutiger, spannender.
Grob gesagt, kann man sagen, dass Schumann ein Romantiker war und Brahms ein Komponist, der sein Handwerk beherrschte.
Die Schumannsinfonien sind ebenso hitzig wie energetisch, irgendwie dichter wie die von Brahms.
Im 4. Satz der heutigen Vierten sind die Blechfanfaren lebendig in die tausend Verwirbelungen von Schumanns Musik eingefügt. Dann irgendwie heimlig warme Steigerungen, dann von Rattle schön abgeschmolzene Kanten, dann von solistischen Einsätzen gepushte Steigerungswellen.
Brahms Sinfonie Nr. 4
Ein Traum in e-moll.
Brahms’s genial verknotete Faktur spielen Rattle und die Philharmoniker mit großer Genauigkeit, mit großer Leidenschaft.
Der 2. Satz: Eines von Rattles Assen, die er vermutlich immer im Ärmel hat, aber nicht immer aus dem Ärmel zieht, betreffen das innere Leben der (musikalischen ) Gesten. Eine Steigerung hinbekommen, OK. Aber auch noch jedes Viertel einzeln diese Steigerung aussprechen lassen. Das ist gut.
Dann die Kraft melodischer Wärme im zweiten Satz! Das Verblühen von Aufschwüngen!! Der Nachdruck bei Intensität!!!
3. Satz: Heftigkeit und brüllende Aggressivität. Zu Hause schaue ich nach, ob der Satz ein fff enthält. Nein. Nie fand ich den Einsatz der Triangel dem Satz so angemessen wie heute Abend.
Ungemein gelungen ist die schwerfällige, dann zunehmend komplexe Intensität des letzten Satzes. Pahuds acht Flötentakte sind wunderbar frei genommen, die folgenden acht Posaunentakte ein Genuss.
Alles ist etwas unscharf, und zwar von einer Unschärfe, die die Attraktivität erhöht – eine Art akustischer Version des Schlafzimmerblicks.
Die Kontrabassisten spielten, als habe Rattle ihnen zuvor den Ausspruch Lou Reeds nahegelegt, der lautet: If you don’t have the bass, it’s like you have no legs. Lou Reed bezog das glaube ich auf Beethoven, weniger auf Brahms. Anyway. Eine weiteres Ass Rattles ist sein Gefühl für Zusammenhang. Das zog er heute auch raus.
Die Bläsersolisten: Pahud, Fuchs, Damiano, Mayer. Stabrawa und Carruzzo nebeneinander an den ersten Pulten der 1. Geigen.
Alpin gesprochen und gesamteuropäisch gesehen, bewegte man sich heute Abend auf Mont-Blanc-Level.
Die Vierte fand ich schon 2008er-Zyklus die Beste.
Schade, dass hier nicht mehr rezensiert wird… Ich habe diese besonderen Kritiken immer gern gelesen!
Woran liegt’s? Keine Zeit mehr?
Herzliche Grüße
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