Berlin am 28. 12. Wovon man nie zu träumen wagt, es ist da. Berlin ist leer. Busse sind pünktlich. Die Sonne beleuchtet unbeobachtet die Gesimse. Der Nachbar vom 3. frühstückt in langen Unterhosen in seiner Küche.

Die Macht des Schicksals aus München.

Jonas Kaufmann. Ungewohnt ist die lange Mähne über dem Astralkörper. „Della natal sua terra“ beginnt Kaufmann dunkel. In den Arien vermisse ich bei der Phrasierung italienische Eleganz. Auch Details wie „Salisti bella“ können genauer klingen. Leidenschaftliche Ausbrüche singt Kaufmann mit ausgestoßener Luft. In bewegten Reziativpassagen kommen hingegen Leidenschaft und wilde Tonschönheit zum Tragen. Männlich fest, klar und hinreißend schön ist „Dalla mortal jattura“. Ebenso „Le minaccie, i fieri accenti“ in IV, 5.

Anja Harteros. Sie gibt die Schmerzensreiche. Leise Stellen, Leidensfärbungen, lodernder Affekt, das beherrscht sie. Oben könnte ihre Stimme mehr Fülle vertragen. Ob die Ganzkörpertaufe in Echtwasser nötig war, sei dahingestellt.

Vitalij Kowaljow überzeugt dank gepflegter Linie und sonorer, kerniger Bassstimme. Um höchsten Ansprüchen zu genügen müsste das Vibrato unverwechselbarer sein.

Ludovic Tézier punktet erstens mit dem Blick eines Psychopathen und zweitens mit einem gut geführten, energischen Bariton. Wanted: Farbveränderungen, klangliches Gewicht.

Nadia Krasteva steht das kurze Jeanshöschen. Der durchschlagskräftige Mezzo, der zu ihr gehört, ist kraftvoll und virtuos.

Asher Fisch leitet. Er hält das Orchester gut beisammen, aber es ist kein Abend der Extraklasse. Außerdem: Die Geigen, die die Kirchenszene eröffnen, klingen dünn. Die Klarinette vor Alvaros Arie in IV,3 könnte süßer sein.

Martin Kusej verbindet Realismus, teilweise optisch verblüffend, und unterkühlten Symbolismus. Die große Synthese bleibt aus. Die Inszenierung löst keine Flirtreflexe in mir aus.