Marek Janowski, der Schrecken der Berliner Weihnachtsmänner, setzt auf Ernst statt auf Konsum. Man hört am 23. 12. weder Humperdinck noch Fledermaus. Dafür spielt das RSB Schumann groß und ernst und Brahms (ein bisschen weniger) ernst und (fast noch ein bisschen) größer. Janowskis Dirigieren zielt auf Gestaltung. Das RSB gestaltet mit. Anna Vinnitskaja lässt Federn.
Schumann 3. Sinfonie.
Beim Eingangssatz, der per se konstrastarm ist, fallen mir außer den genau gespielten Sforzandi keine erwähnenswerten Dinge auf. Die anderen Sätze sind hörenswerter. Die gewählten Tempi passen fürs Orchester wie die Faust aufs Auge. Unter den sehr guten Binnensätzen ist das „Feierlich“ (4. Satz), in dem die imposanten Posauenen spielen, der beste. Der Dirigent, selbst das Orchester bleiben im Hintergrund. Es ist Schumann, echt im Ton, irgendwie verwittert und wahrhaftig im Klang. Die Orchestersolisten stellen sich in den Dienst des Werks.
Das Finale erhält Intermezzo-Charakter. Während Rattle Schumanns Dritte mit Berliner Startup-Kreativität ins Rennen schickt (ich liebe das), macht Janowski aus der Dritten eine ernste Angelegenheit von Wagnerschem Kunstanspruch („Hier gilt’s der Kunst allein!“).
Brahms Klavierkonzert d-Moll.
Was mache ich mit Anna Vinnitskaja? Ihr Anschlag ist so spitz (nicht spitzfindig, leider) wie die Spitze des Berliner Fernsehturms. Beim Solo des F-Dur-Themas (Poco più moderato) erinnern mich Vinnitskajas Tempoveränderungen an einen Schwarm aufgeregter Hühner. Kein einziger Ton und keine einzige horizontale Verbindung zweier Töne interessieren mich. Ich höre mir Anna Vinnitskaja in 5 Jahren wieder an.
Das RSB ist bei Brahms schön locker unterwegs, Folge auch des leicht angezogenen Tempos. Als die Flöten das erste Mal den ominösen Triller des Hauptthemas spielen, trillert es in den Ohren. Das 2. Thema ist männlich genommen. Janowski liebt das Zusammenfassen einer Einheit durch Straffung am Ende, das hat er schon bei Schumanns Kopfsätzen erfolgreich gezeigt. Das stockende Adagio ist mehr gesetzt als gesungen. Sehr gut.
Fazit: Der Anti-Konsum-Abend (von wegen Ringelpietz mit Anfassen) in der Philharmonie zeigt, dass Janowski + RSB gewichtige Schumann- und Brahms-Alternativen zu Rattle und Barenboim anbieten.
Brahms bei janowski: angenehm, nüchtern, streng.
Jut so
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Sehr geehrter Herr Kritiker,
ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wie man so mit einer jungen Künstlerin umgehen kann. Meine Ohren haben die Aufführung und speziell die Interpretation von A. Vinnitskaja sehr genossen. Man muss eben zuhören und nicht von oben herab urteilen. So beherzt, so energisch war ihr Auftritt, dass mir eine solche Herabwürdigung einer künstlerischen Leistung unverständlich ist und am Verstand des Rezensenten zweifeln lässt.
H. Brandstetter
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War am 23. selbst nicht drin, habe aber aus verlässlichem Mund gehört, dass sie „echt nicht gut“ gewesen sein soll.
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Mir kams vor, als hätte Anna Vinnitskaja wegen des riesigen Schallraums der Philharmonie extra in die Tasten gehauen, Stichwort Tasten-Kungfu. In kleineren Sälen mag sie besser klingen.
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Ein sehr gutes Konzert.
Janowskis Lesart tut gut. Wunderbar der mittlere Satz, innig und ohne jeden Effekt. Ein sehr intensives Hörerlebnis, wo andere Interpretationen genre den Kitsch streifen. Aber Janowski lässt es auch krachen, wenn es sein muss.
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Danke für Ihren Kommentar.
Adagio war gut. Schönes Doppelfagottsolo am Beginn. Beherrschtes Legato der Streicher und so weiter. Sehr kontrolliertes Atmen des Orchesters, pp-Streicher etc, Celli Legato etc. etc..
1. Satz übrigens hübsch die Rückkehr zur Reprise (Hier hatte Vinnitskaja gar keine Kraft) oder die Coda des 1. Satzes mit ihrer trockenen Wucht (hier Vinnitskaja glaub ich auch nicht sehr stark).
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