Da ist er wieder, der umjubelte Salzburg-Berliner Don Giovanni.
Jetzt erstrahlt Barenboims und Guths Don Giovanni im Licht der herbstlichen Wiederaufnahme. Und strahlt womöglich noch heller. Dieser Giovanni hat Saft und Kraft, Bilder und Background. Wobei das Thema das allgemeine Schwinden der Lebens- und Liebeskraft ist, das alle betrifft, Dissoluto und Rächer. Nur der Komtur gräbt in tödlichem Gleichmut Giovannis Grab.
Die Staatskapelle klingt in der Ouvertüre schärfer als bei vorigen Don Giovannis, härter in den Tutti, brutaler in den Lautstärkeunterschieden. Originalklanglicher im Recitativo accompagnato. Überhaupt ungeduldiger, schneller. Auch wenn der 1. Akt nur um ein Weniges kürzer dauert als bei der Premiere und der 2. meiner Einschätzung nach länger.
Das Sängerensemble versammelt einige von Barenboims Spezis.
Christine Schäfer: Diese Donna Anna ist ein armes Würstchen – aber ein psychologisch äußerst attraktives. Zerrissen durch Empfindlichkeit, traurig durch Intelligenz, unglücklich durch Liebe, wird sie zusätzlich dauergenervt von einem handlungsgehemmten Don Ottavio. Christine Schäfer hat die besten Stellen heute Abend, aufgrund genauer Diktion und schmalen, aber berührenden Tons. Mein Sitznachbar kann ein Buh nicht unterdrücken: Christine Schäfer verschleift Töne. Ja, ich verstehe, dass man Kritik anbringen kann. Donna Annas „Non mi dir“ ist rhythmisch unprägnant, die Aussprache undeutlich, die unteren Töne schwer zu hören. Christine Schäfer wechselt scheinbar laufend zwischen einer überempfindlichen Interpretation und einer scheinbar gefühlsgleichgültigen Interpretation, die von einer Art weißem Stimmtimbre geprägt wird. Die Zierfiguren in „Non mi dir“ sind sehr gut.
Dorothea Röschmann: Gibt die trillernde Mozart-Nudel, die in ihrer Gurgel mehr Liebe hat als alle anderen zusammen. Auf der Bank der Haltestelle spült sie die letzten Hemmungen weg. Diese Dame ist eine Waffe gegen jeden (Liebes-)Trübsinn. Jaja, einige Spitzentöne werden überdimensional herausgestellt. Aber sonst genieße ich leuchtende Tonperlen und punktgenau einschwingende Piani.
Christoper Maltmann: Ein Zyniker mit Sehnsucht, ganz abgetakelter Machtpolitiker der Liebe. Heute Abend ist klar: Er liebt Donna Anna, schleicht sich ran, sobald Donna Anna Arien singt. Die Stimme ist hart und metallisch in der Schlussszene, bleich und unstet in der Champagnerarie. Doch sie passt zur Inszenierung wie der Deckel auf den Topf.
Adrian Sâmpetrean: Stark und auffällig als Maulheld mit Hasenherz. Leporello hat Lust am Abenteuer und (meistens) Unlust zum Realzynismus.
Jan Martinik: ein Hühne mit Bogart-Hut. Heute Abend bin ich von Martinik sehr angetan. Er führt seinen Bass mit Gefühl.
Rolando Villazón: Ein dauer-nervöser Softie, der Töne anschluchzt, sehr viel Gefühl ziemlich gleichmäßig auf Rezitative und Arien verteilt und sehr wenig Gefühl für den Bau der Mozartbögen mitbringt. Villazóns verzierte Partien in Il mio tesoro würden jeden Gesangslehrer zur Verzweifelung treiben. Aber es bleibt was. Eine Hitzigkeit, die dem drögen Don Ottavio guttut. Groß zu Ende des 2. Aktes.
Anna Prohaska hat Grippe. Sie singt dennoch. Mein Sitznachbar daraufhin: „schlecht“. Süß: Bei „Batti, batti“ ist ein Fuß bestrumpft, der andere bloß.
Im ersten Akt liegen die Sänger oftmals ein Minimomentchen hinter Barenboim. Tja, das fast minutenlang klingelnde Handy vor der Registerarie. Muss man vor Vorstellungsbeginn wirklich eine Pflichtveranstaltung im Foyer für alle Besucher einführen: Wie schalte ich mein Handy stumm? Wo ist der Button? Bei Android? Bei iOS?
Die Inszenierung wurde zurecht als bester Berliner Don Giovanni seit 20 Jahren bezeichnet.
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Eine wunderschöne Inszenierung!
Mit hat Rolando Villazón sehr gut gefallen. Ich habe genug anämische Tenöre in der Rolle gehört und war von Villazóns Feuer und Spielwitz angenehm überrascht. Deswegen finde ich die Kritik teilweise ungerecht. Christine Schäfer war der heimliche Star der Aufführung. Sie hat die komplexe Persönlichkeit der Donna Anna glaubhaft dargestellt.
Bravo!
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Wie sagte meine Freundin bei der Premiere? „Ich kann bei Röschmann gar nicht hinhören, ähh weghören.“ Ich liebe die Donna Elvira von Dorothea Röschmann.
Bei Christopher Maltmann lagen die Stärken eher im optischen Bereich als im vokalen.
Grüße
Evelyn
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Dorothea Röschmann ist eine unglaublich intensive Elvira. Eine andere Sängerin kann ich mir in der Rolle kaum mehr vorstellen, erst recht nicht in dieser Inszenierung.
Das gleiche gilt für Christopher Maltman. Einen derart intensiv und glaubhaft gestalteten Charakter gibt es in keiner anderen Inszenierung. Was an der Stimme unstet sein soll, verstehe ich nicht. Vielleicht irritiert es, dass ein Sänger seine Partie nicht in Einheitslautstärke herunterbrüllt, sondern intelligent und unter Ausnutzung seines nahezu unbegrenzten Ausdrucksspektrums gestaltet. Allein die vollkommen natürliche Gestaltung der Rezitative und die traumhaft schöne Serenade sind schon das Eintrittsgeld wert. Besser singen kann man die Rolle eigentlich nicht. Anders sicher, aber nicht besser. Und in dieser Inszenierung ist er einfach perfekt.
Christine Schäfer nehme ich die Donna Anna nicht ab. Natürlich singt sie gut, aber ich glaube ihr die Rolle einfach nicht.
Rolando Villazon ist meiner Meinung nach eine abolute Fehlbesetzung. Totales Overacting und eine komplett übertriebene Gestaltung der Rezitative. Bei Puccini könnte man das noch hinnehmen, aber es wäre doch schön, wenigstens ein kleines bisschen Mozart-Stil zu hören.
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@Christoper Maltman
Naja, das Ständchen Deh vieni litt doch wohl unter dem unregelmäßigen Vibrato und einer gewissen Spannungslosigkeit – und hatte übrigens drei oder vier kleinere Abbrüche des Stimmflusses, wenn ich mich richtig erinnere.
@Christine Schäfer
Finde ich gar nicht.
Sie kann von einem fokussierten hohen Ton auf einen atemberaubenden Piano-Ton des unteren Registers in perfektem Timing, in perfekter Technik und mit Natürlichkeit springen.
Erregte schnelle Partien und Leidenschaftsausbrüche hat sie etwas undeutlich gesungen. Rezitative klangen stellenweise nicht ganz flüssig, was glaube ich auch damit zusammenhängt, dass das Italienisch ihr nicht ganz so flüssig von den Lippen kommt.
@Rolando Villazon
In den Arien und Duetten gebe ich Ihnen teilweise recht. Aber die Rezitative hatten große Momente. So Stellen wie „allontanate agli occhi suoi“ habe ich jetzt noch im Ohr. Getränkt von Emotion. Fand ich sehr gut.
Auch das Rezitativ vor Dalla sua pace fand ich mitreißend. Dalla sua pace hatte auch starke Stellen, hatte aber mindestens doppelt so viele Stellen, an denen Mozartliebhabern unwillkürlich ein „Autsch“ entrutschte. Der Applaus nach Dalla sua pace war lebhaft, aber nicht übermäßig. Ein Bravo, wenn ich mich recht erinnere.
@Overacting — Für meinen Geschmack wars auch ein bissl zu viel.
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