Sacre Sasha Waltz Berlin // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Zügellose Rudelbildung, experimentelle Gruppendynamik: Sasha Waltz macht Sacre in Berlin // Foto: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Ja, ja, ja.

Es ist eine gute Idee, Sasha Waltz ranzulassen.

Premiere Staatsoper Berlin. Der Abend heißt Sacre. Zu sehen sind Debussys L’Après-Midi d’un Faune, Berlioz‘ Scène d’Amour und Strawinskys Sacre. Was übertragen so viel heißt wie: Erst regt sich die Natur, dann die Liebe, dann kommt die Katastrophe. Nüscht is, wie der Berliner sagt. Sasha Waltz war zwischenzeitlich extrem hip. Spätestens seit Dido & Aeneas ist sie in der Höhenluft der Hochkultur daheim.

Ich erinnere mich der erzählerischen Präzision Berliner Sasha-Waltz-Stücke, die einen weit forttrugen: Dido, Medea, Matsukaze an der Staatsoper, Travelogue I, Impromptus und anderes im Radialsystem. Im Schillertheater frage ich mich während des mit grellen Badetrikots gespickten L’Après-Midi d’un Faune ständig, ob ich mit meiner Assoziation an Picassos posierende Badehosenjungs richtig liege oder nicht. Ich finde L’Après-Midi d’un Faune nicht gut. Die Scène d’Amour bietet klassisch orientiertes Tanztheater (Emanuela Montanari, Antonino Sutera). Aber wie gut spielt die Staatskapelle hier. In der Pause betrachte ich den simsenden Guido Westerwelle.

>>>> Hier Kritik von Sasha Waltz‘ Sacre 2016 lesen

Sacre du Printemps. Hier sehe ich jene Sasha Waltz, deren Markenzeichen zügellose Rudelbildung und experimentelle Gruppendynamik sind. Ein Kuddelmuddel kreisender Formationen, eine ganz spezielle Kinetik karger Körper. Das Schönste: Die Tänzer liegen in Kreisformation auf dem Boden, regen sich, recken die Arme, wachsen wie Pflanzen im Zeitraffer empor. Aber es gibt Kritikpunkte. 1. Unübersichtliche Grüppchenbildung. Es ist zu viel los auf der Bühne. Mir fehlt Konzentration. 2. Visuelle Härten mildert Waltz durch Einbindung in schönheitliche Tableaus. 3. Eine vage antikisierende Atmosphäre. Sprich: Eine direkte Verbindung zu meinem Herzen fehlt.

Sacre hin, Waltz her – es war ein guter Abend. Mit einigen Abstrichen wie gesagt.

Maria Marta Colusi tanzt das Frühlingsopfer präzis und packend.

Die Staatskapelle… spielt schön. Sie zwitschert Debussy wie der Kreuzberger sein Sonntagnachmittagbierchen auf der Admiralbrücke. Daniel Barenboim lässt bei Debussy den Wagner raus (Hitzewallungen der Streicher, untermalt vom Schnaufen des armwedelnden Dirigenten). Das Solo-Horn: leichtfüßig, vollmundig, schwärmerisch. Ein G-E-N-U-S-S sind die Celli bei Berlioz. Mann!, das warme Plopp-Plopp-Plopp der Pizzicati. Ist das Seele? Ja. Barenboims Staatskapelle spielt Strawinskys Sacre mit Herz, nicht als Orchesterstudie in Brutalo-Manier, als den ihn die Philharmoniker gerne spielen.

Das halbe scheidende und zukünftige Kabinett war anwesend. Die Pause zwischen Franzosen und Russem hätte allerdings wegfallen können, zwecks Steigerung der Eindringlichkeit.

Fazit: Nicht Sasha Waltz‘ beste Berliner Produktion. Aber ein hochinteressanter Abend.