Rumhängen nützt auch nichts mehr: Anita Rachvelishvili, Olga Peretyatko // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Die steht nicht mehr auf: Olga Pereyatko schmiegt sich an Anita Rachvelishvili // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Die Zarenbraut. Oper von Rimski-Korsakow. Eine gute Premiere. Hier lesen Sie die Kritik der Aufführung 2016 im Schillertheater.

1. Akt.

Ich bin erleichtert. Die Handlung ist viel einfacher als im Programmheft steht. Grjasnoi liebt Marfa. Ljubascha liebt Grjasnoi. Grjasnoi liebt Ljubascha nicht mehr. Lykow liebt Marfa. Marfa liebt Lykow. Der Zar liebt Marfa. Marfa wird Zarin. Grjasnoi setzt Zauberpulver ein. Ljubascha setzt Zauberpulver ein. Marfa stirbt. Ljubascha stirbt. Grjasnoi stirbt. Eine klassische Konstellation aus Intrige und Eifersucht, wie wir sie aus der italienischen Oper kennen und lieben. Nu wot i wcjo?

Russische Suspense im Greenscreen-Studio // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Mediale Suspense im Greenscreen-Studio // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Nicht ganz. Regisseur Dmitri Tscherniakow fügt dem Zaren- und Bojaren-Plot einen kecken Jetztzeit-Dreh hinzu: Polit-Masterminds schaffen in einer geheimen Staatsaktion einen virtuellen Digital-Zaren. Die Bojaren macht Tscherniakow zu echten Bisnessmen. Die quietschbunte Russo-Folklore entsorgt Tscherniakow im TV-Studio und auf dem Eisernen Vorhang. Sehr gut. Fertig ist eine flotte, temporeiche (die erste, dröge Viertelstunde ausgenommen), doch alles andere als seichte Inszenierung, die genug Parabel ist, um auf platte Gegenwartsbezüge verzichten zu können. 

Musikalisch gesehen ist die Zarenbraut ein satter Volltreffer.

Überraschung: Es finden sich keine Spuren von Wagnérisme in der Zarenbraut, geschweige denn von Richard-Straussismus. Einiges ist unerwartet konservativ. Die federnde Eleganz und die klare Trennung von Melodie und Begleitung riecht nach Mendelssohn. Gesangsmelos und Orchestersprache gemahnen in Arien, Liedern und rezitativischen Passagen an Eugen Onegin. Die Aktschlüsse kargen mit klanglichem Pomp. Zum Schluss dreht Rimski-Korsakow richtig auf. Die Dramatik des letzten Akts ist Verdi-like.

Die Besetzung ist nicht viel unter Weltklasse.

Anatoli Kotscherga (Sobakin) ist deklamatorisch ein Traum. Kotscherga setzt seine Stimme mit unfehlbarer Sicherheit ein. Die Stimme klingt angeraut und hat doch weichen, wolkigen Gesamtklang. Kotschergas Vortrag berührt durch nuancenreiche Phrasierung und unauffällige Autorität. Großartig sein Monolog Anfang des 4. Akts, voll verhalten expressiver Deklamation.

So schön kann Hochzeit sein: Anatoli Kotscherga, Pavel Cernoch, Olga Peretyatko, Johannes Martin Kränzle, Anna Lapkovskaja, Anna Tomowa-Sintow // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Hochzeit po-russki: Anatoli Kotscherga klatscht, Pavel Cernoch mit Schlips, Olga Peretyatko mit Ballons, Johannes Martin Kränzle guckt zu, Anna Lapkovskaja gutgelaunt, Anna Tomowa-Sintow in Violett // Foto: Monika Rittershaus / staatsoper-berlin.de

Olga Peretyatko (Marfa) hat einen Sopran von exquisiter, frischer Farbe und federleichter, lupenreiner Höhe mit perfektem Fokus. Wäre das Timbre charakteristischer, wäre Peretyatko ein absoluter Überflieger (was sie vielleicht sowieso wird).
Johannes Martin Kränzle (Grjasnoi): Fast noch beeindruckender als sein Alberich. Er verbindet Dringlichkeit, Rhetorik, Beredtheit. Sein Russisch mag nicht immer von allerletzter Reinheit sein.
Der hochaufragende Pavel Černoch singt einen umwerfenden Lykow. Cernoch findet einen wunderbaren lyrischen Duktus.   Er verfügt über einen hohen, hellen, festen, klangschönen Tenor. Das Terzett Kotscherga-Kränzle-Cernoch zu Beginn des 3. Akts ist ein Höhepunkt.
Anita Rachvelishvili singt Ljubascha und geht durch alle Feuer der Eifersucht, die in ihrem großen Herzen besonders intensiv brennen. Ihr Mezzosopran, gewaltiger Phonstärken mächtig, strömt klangüppig dahin und illustriert die grenzenlosen Weiten, die man anscheinend in einer leidenschaftlichen weiblichen russischen Seele findet, besonders gut.
Anna Tomowa-Sintow gibt der Saburowa ihre flackernde, gefühlvolle, charakteristisch timbrierte Stimme. Tomowa-Sintow, im Herbst ihrer sonnenreichen Karriere, strahlt eine Bomben-Autorität aus.

Sonst: Stephan Rügamer (Bomelius) mit hagerem Tenor, Anna Lapkovskaja (Dunjascha), Carola Höhn (Petrowna) mit kraftvollem Sopran und Tobias Schabel (Maljuta-Skuratow) .

Daniel Barenboim und die Staatskapelle befinden sich heute Abend auf dem Spitzenniveau, das man von ihnen erwartet.

Eine sehr gute Premiere, szenisch gut gelungen, musikalisch hervorragend. Prekrasno.