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Ich fasse zusammen.
Walküre = Mount Everest. Siegfried = Teufelsberg (für Nicht-Berliner: 120 m Höhe über Normalnull). Götterdämmerung = Himalaya, mindestens Nanga Parbat („deutscher Schicksalsberg“).
Hans-Peter König: ganz finstere Männlichkeit. Gibt den Hagen im bulligen Leder-Suit – bester Wagner-Chic. König verbreitet Autorität und sonore vokale Breite. Königs Hagen ist kein fieser Sadist, Königs Hagen gebietet eher über eine gefestigte, in sich selbst ruhende Finsterkeit.
Es ist Evelyn Herlitzius‘ dritte Charlottenburger Brünnhilde innerhalb von acht Tagen. Es ist auch heute Abend ein in weiten Teilen zufriedenstellendes Porträt. Sie zeichnet eher eine sehnig-hysterische Brünnhilde denn eine üppig dimensionierte, jauchzende Brünnhilde. Obwohl, mehr juchzen als die sonst nicht unähnlich timbrierte und optisch überdies ähnlich sehnige Waltraud Meier (Mezzo, ich weiß) tut sie – etwa beim Speereid. Spitzentöne kommen kontrolliert oder wenn mal nicht, dann wenigstens gut getroffen und koloristisch aufregend. Es gibt mehrere sehr gelungene Exemplare. Das Vibrato scheint heute größer als in den beiden vorangegangenen Vorstellungen, befindet sich aber noch in dem Bereich, in dem die weite Amplitude dem Ausdruck zugutekommt. Frau Herlitzius‘ hippes Helmchen aus Siegfried gibt es heute leider nicht mehr zu sehen. Die Schlussszene kann ich mir geschlossener, eiserner, großartiger gesungen vorstellen. Aber dann wär’s nicht von Herlitzius, und ich bin mir nicht sicher, ob das der überwiegende Teil der Zuhörer wollen würde. Einige bange Schlusszeilen lang, etwa ab „Dem Freund zu folgen“ fürchte ich, das gehe alles doch ein bissl über Herlitzius‘ Kraft. Rattle macht hier auch ein wahnsinniges Tempo.
Lance Ryan (Siegfried): Es gilt das zu Siegfried Gesagte. Ich will mich nicht wiederholen. Doch richtet Ryan heute weniger Schaden an, da er weniger und weniger Exponiertes singt. Beispiele für zweifelhafte Tonhöhen finden sich in „Munter, ihr Mannen“ überm Hochzeitsrufmotiv zuhauf.
Markus Brück, nicht ganz rollenfüllend als Wotan, singt er einen ausgezeichnenten Gunther: sorgfältig artikuliert, wohltuend kantabel, kalkuliert klangvoll, spielerisch intensiv. Sehr gut.
Eric Owens (Alberich): Hat nicht viel zu singen. Was er singt, bereitet Freude.
Heidi Melton (Gutrune): üppige, obertonreich schimmernde, aber nicht textdeutlich singende Gutrune in saturierter Körperfülle. In der Höhe etwas wenig strahlend.
Anne Sofie von Otter (Waltraute): intensiv, aber doch allmählich brüchig in der mittleren und unteren Lage.
Die nur im Damenrudel auftauchenden Sängerinnen dieses Abends sind die Nornen Ronnita Miller (Erste), Ulrike Helzel (Zweite), Heidi Melton (Dritte) sowie die Damen Rheintöchter Martina Welschenbach (Woglinde), Ulrike Helzel (Wellgunde), Dana Beth Miller (Floßhilde).
Und Simon Rattle?
Es braucht ein bissl. Packen tut’s mich bei der an gnadenloser Prallheit nicht zu überbietenden Mannen-Szene. Das ist rüde knatternd. Der Chor hilft. Hans-Peter König ist hier übrigens auch nicht zu überbieten. Großartige Szenenübergänge: Siegfrieds Rheinfahrt, aber auch wo’s eher kurz ist, so von der Hagen-Alberich-Szene zur Szene Siegfried-Hagen oder von der Szene in voller Halle zur Brünnhilde-Hagen-Gunther-Szene Ende des 2. Akts.
Außergewöhnlich wieder Rattles Sinn für das Aufstauen, Zusammendrängen und erneute Fließenlassen des Melos, für die oft geradezu erstaunliche Flexibilität des Tempos, für den Zusammenhalt des gesamten 2. Akts, dem Rattle zahllose, gestufte Kraftzentren einsetzt. Hübsch der Reichtum an in den unterschiedlichsten, dabei durchaus haarsträubenden Tempi gelieferten Hornmotiven. Das Orchester scheint fortgerissen vom Schwung der Szene. Ein Beispiel: die Speereidszene mit Herlitzius‘ „Helle Wehr“. Heute gelingt die Integration der Soli ins dichte Gewebe des Orchesterspiels auch super. Vorspiel 3. Akt: Ein Herr hinter mir seufzt vor Schmerz auf, als das Solohorn das Naturmotiv demoliert.
Siegfrieds Trauermarsch hat Barenboim im März packender gemacht. Rattle liefert hier eher Einzelaspekte, wenn auch wiederum packende.
Ach Jottchen, diese plötzlichen Tempovorstöße von Rattle, ganz wie bei Messi in Topform. Seufz.
Echt Berlinerisch waren die zwei Viva-Götz-Rufe in die Stille des Schlusses hinein. Dabei kam mir gerade heute einiges uninspiriert vor – etwa die Nornenszene. Aber vieles auch wieder groß.
Der von Sir Simon Rattle geleitete Ring des Nibelungen an der Deutschen Oper war sicherlich eines der Highlights nicht nur der Berliner Opernsaision, sondern auch auf europäischem Level. Es ist klar, dass die Sängerleistungen differieren und nicht jeder Abend auf grandiosem Niveau gelingen kann. Das wäre zuviel verlangt. Für mich stachen gleichfalls Walküre und Götterdämmerung heraus.
Der Einsatz von Ensemblemitglied Markus Brück war gewiss zu begrüßen. Zu Lance Ryan gehen die Meinungen mit Sicherheit auseinander. Zu den Leistungen, die bleiben werden, zählen meiner Meinung nach Evelyn Herlitzius, Hans-Peter König, Simon O’Neill, Eva Maria Westbroek, Doris Soffel und auch Anne Sofie von Otter, die ich gestern Abend exzellent fand. Heidi Melton war ein Pluspunkt. Samuel Youn erlebte ich in Bayreuth überzeugender.
Man sollte auf jeden Fall eine weitere Zusammenarbeit mit Rattle an der DOB anstreben. Die Götterdämmerung hat ahnen lassen, wie gut Rattle die Meistersinger oder Tannhäuser liegen würden.
Alles in allem hörte man einen vollwertigen Ringzyklus, bei dem Sir Simon Rattle größtenteils einlöste, was sein (großer) Name versprach. Man darf von weiteren Verpflichtungen (bei Wagner?) an das Haus an der Bismarckstraße träumen und könnte so auch das Wagner-Profil gegenüber der Staatsoper schärfen, was die Dirigenten angeht.
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Dieses ständige negative Runterreden der Leistung von Lance Ryan ist widerwärtig. Was denkt sich der Rezensent dabei?
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Der Rezensent ist nicht der einzige, der Lance Ryan so sieht – auch ich finde ihn nicht erträglich. Er brüllt einfach nur, trifft dabei gelegentlich die Töne nicht. Ich vermisse echte Phrasierung, damit aus Wörtern mit Tönen auch eine Bedeutung und Gefühl wird. Ich habe für mich beschlossen, Vorstellungen mit Ryan zukünftig zu meiden. (P.S. Ryan kann nur in der gestern gezeigten Art und Form singen – genau so hat er auch in Karlsruhe Lohengrin gesungen/gebrüllt – und ist ausgebuht worden…)
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enthusiastic, intense conducting
Greeeaaaaaaaaaat!
Sir Simon? He’s delighted, too
Great performance
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Gehe ich d’accord mit. Markus Brück war outstanding.
Habe ich auch so gehört, Herlitzius hatte in paar Problemchen, aber alles im grünen Bereich.
Ad Lance:
Manche störts wenn einer falsch singt, andere nicht. So what?
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alberns slbstverliebts Geschreibsel, kaum ernst zu nehmen
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Wenn Sie sonst nichts stört.
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Gute Anmerkungen zu Lance Ryan! Anlässlich der letzten Bayreuther Götterdämmerung gab gleichfalls heftige Buhs für den Heldensänger LR. Der Mann kann nicht singen. Er macht den Mund immer doppelt so weit auf, wie er sollte, und singt dafür nur die Hälfte der Töne richtig.
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