Das Konzert im Konzerthaus wirft uralte Fragen auf. Was hält ein Konzert zusammen? 1. Lutoslawski? Musikfest! 2. Beethoven? Ähhh… Martha Argerich! 3. Quatto Pezzi Sacri? Hmm… Verdijahr!

Erstes Konzert mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle in der neuen Saison. Das ist ja schon mal was.

Mit Lutoslawskis Mi-Parti von 1976 schließt sich der gelungenste programmatische Kreis des diesjährigen Musikfests. Die Staatskapelle gibt Lutosławski, diesem Schlitzohr aus Warschau, ihre Wärme, ihr goldenes Timbre. Barenboim gibt seine Fähigkeit, dem Fluss der Musik eine nachvollziehbare Logik einzusetzen.

Beethoven Klavierkonzert Nr. 1.

Martha Argerich zaubert in jener Decrescendo-Partie der Hauptexposition vor dem letzten Forte-Tutti. Sie spielt da ein ganz eigenes Tempo, unter dem jede Note eine neue Rolle bekommt. Durchführung: Im besten Sinne sonderbar die abfallenden chromatischen Achtelketten mit dem traumhaft verwischten Akzent und dem Rubato auf der ersten Note, dann die vier Es‘, dann der Triller auf D, dann die unvergleichlich schwimmenden Viertel F, Es, D, C abwärts, na für so was geht man ins Konzert. Ansonsten verhält es sich meiner Meinung nach so: Allegro con brio gut. Largo sehr gut. Rondo Allegro fantastisch. Beim Largo, wo Argerich das Solo bei „C“ unvergleichlich, mit einer Flexibilisierung des Tempos, die die Zeit auf gnädige Weise dehnt, aber nicht zerreißt, hinbekommt, könnte man bis nach Mitternacht verweilen. Finale: Das Tempo passt. Barenboim und Argerich finden das Maß zwischen Ordnung und Spontaneität, das so schwer zu finden ist, dass es kaum lohnt, danach zu suchen.

Die Staatskapelle: sehr präsente Holzbläser, Staatskapelle eben. Stampfende Sforzandi – keines wird ausgelassen, Barenboim eben. Der Klarinettist bläst im Largo ein astreines Piano-Cantabile, bei Bedarf seelenvoll begleitet von den Fagotten. Barenboim kratzt sich beim zweiten Thema der Hauptexposition im Ohr.

Die Zugaben. Die erste = die erste der Kinderszenen, klar („Von fremden Ländern und Menschen“, Ritardandi und Fermate beim ersten Mal aufregender, beim zweiten Mal flüssiger). Aber die zweite Zugabe, Argerich und Barenboim? Neben mir zwei ältere Berliner. Sie reden miteinander. Der Dialog geht so: „Sagen Sie mal. Sie sind so schlau. Was war denn die zweite Zugabe, dit Vierhändige?“ „Der Mann von ’n zweiten Geigen sagt Schumann, aber jenau wusste er’s ooch nich.“ „Schumann, dit hab ich auch getippt, aber mehr wusst ich nich.“ „Nee, ich wusstes ooch nich“. Ich muss zwar auch tippen, aber ich würde auf Grand Rondeau A-Dur, Schubert tippen.

Die Quattri Pezzi Sacri bedeuten einen Sprung, der fast zu groß ist für einen von einem stinknormalen Montag müden, nur wenig überdurchschnittlich ausdauernden Konzertbesucher, der seit halb 7 wach ist und schon den ganzen Tag „Abendlich strahlt der Sonne Auge“ mit der Stimme von René Pape aus Rheingold im Kopf hat. Der Rundfunkchor singt. Man ahnt die individuellen Stimmen im Gesamtklang, ohne dass das Ohr sie auseinanderbekommt. Eine vollauf gelungene Interpretation, auch wegen der Staatskapelle. Die Ausbrüche im Sanctus demonstrieren die geringe Nachhallzeit des Konzerthaussaales. Evelin Nowak singt.

Schönes Konzert.