Sie haben uns wieder. Die Philharmoniker. Saisoneröffnung in eine nette Saison mit Lutoslawski-Spitzen, Dutilleux und ein paar Spritzern Wagner. Gauck sieht schick aus. Merkel muss sich wohl erst Mal von Samaras erholen und kommt lieber zum Silvesterkonzert. Lutoslawski – bitte polnisch „Lutoswwooawski“ gesprochen – war das Hauptstück, Brahms Hors d’Oeuvre.
Brahms.
Yefim Bronfman: Immer wieder leicht improvisierend im Gestus. Sehr schön das Understatement bei den Einsätzen im 1. und 4. Satz. Ruhe, Klugheit, Unaufgeregtheit; im Finale bin ich anfangs nachgerade unschlüssig, ob mir es nicht zu viel der Beiläufigkeit ist. Schlussendlich finde ich das Leichte im Ton sozusagen komplex-amüsant. Die Philharmoniker schlagen im Finale in die gleiche Kerbe, scharwenzeln fast. Im Allegro Appassionato manchmal sentimentales Rubato. Im Andante spielt Bronfman, der sich selbst scheinbar Fima nennt, dezidiert anti-pietistisch.
Simon Rattle: Einer der Abende, an denen Rattle dem Solisten jede nur erdenkliche Unterstützung zukommen lässt. Keine Extravaganzen des Orchesters, Dezenz der solistischen Effekte. Deutlich hörbare Unterschiede des Orchesters bei P und PP. Rattle zeigt den Beziehungsreichtum und meidet falsche Eindeutigkeit.
Philharmoniker: in alter Blüte. Die bummeligen Pizzicati der Celli zu Beginn des Andante lohnten schon das Kommen. Quandt mit Einsatz im Andante. Das Ende des Andante hervorragend. Leichtigkeit und zärtlich-relaxte Sonnigkeit im Finale. Hier subtile Klanglichkeit bis hin zur Wunderlichkeit.
Eine Dame schreit ein hysterisches „Bravo“. Gauck klatscht erfreut. Ich finde das 2. Klavierkonzert immer etwas gênant. Es klingt zu sehr nach Brahms.
Lutoslawski.
Kurzum: Ich war wegen Lutoslawski da. Die 3. Sinfonie ist ein Vergnügen von vorne bis hinten. Der erste und letzte Takt bringt die mottohafte Schlagzeile aus 4 Schlägen. Klar voneinander getrennte Teile, reiner, präziser Klang, energischer Streicherklang besonders, der durch einsam-glutvolle Linien sich in die Tradition des europäischen 20. Jahrhunderts stellt. Grandseigneur-haft eingesetzte Aleatorik. Hinreißende Miau-Stelle mit abwärts führenden Blechbläser-Glissandi. Die 3. Sinfonie Lutoslawskis ruft die Erinnerung an in Polen verbrachte Sommerurlaube hervor.
Review/Kritik Berliner Philharmoniker: Schöne Saisoneröffnung mit beziehungsreichem, subtil aufgelockertem Brahms und prachtvollem Lutoslawski. Bronfman mit mätzchenloser, höchster Reife und ohne falschen Brahms-Ton. Die Wiener Philharmoniker machen den Saisonstart mitn bissl Messiaen, aber moderner ist es bei den Berlinern schon. Ansonsten ist das Neueste, das die Wiener in den Abo-Konzerten wagen, Schönbergs Thema und Variationen für Orchester. Ich gestatte mir einen lauten Lacher. Ach Gott, ich sehe gerade, dass Rattle Schumanns Peri in Wien macht. Liebe Wiener, Rattle ist ein fierce Schumann-Lover, aber die Peri ist eine ziemlich zähe Geschichte, selbst unter Rattle, siehe Philharmonie Februar 2009.
Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zu Rattles Brahms und am Freitagabend wurde es noch gespaltener, falls es eine Steigerung zu gespalten überhaupt gibt. Hat keene Ruhe der Typ, sach ich da nur.
Und Lutoslawski —- meinen Sie das im Ernst?
LikeLike
Typ=Rattle?
LikeLike
Yep
LikeLike
Lutoslawski war in der Tat der – für mich überraschende – Höhepunkt des Abends. Warum aber nur mussten die „Zugabe-Häppchen“ am Ende sein, das hat die tolle Stimmung in der ich nach der 3. war fast wieder kaputt gemacht. Rattle traut wohl seinem Saisoneröffnungspublikum nicht. Vermutlich hat er Recht, die meisten sieht man die ganze Saison nicht wieder…
LikeLike