Noch mal Claudio Abbado. Sonntag Abend. Es wird einem warm ums Herz, wenn er erscheint. Hager, hochgewachsen, mit schlenkernden Armen. Angedeutete Verbeugung, die Linke aufs Herz gelegt. Habe eine Karte fürs Podium bekommen.

Zu Alban Berg und Isabelle Faust und Anne Sofie von Otter siehe den vorangegangenen Artikel. Beide dürften Leute im K-Block übrigens kaum gehört haben.

Ich bleibe dabei. Claudio Abbado schafft einiges Gutes bei der Zweiten. Aber auch einiges weniger Gutes. Bis aufs Finale hinterlässt mich kein Satz im Zustand der Erleuchtung. Bei Satz Nr. 2 denk ich wehmütig an Rattles Insistieren. Bei Nr. 1 an Barenboims Gaucho-Glut. Melancholie der Erinnerung.

Der Schönheit verschworen, macht Abbado aus vielen Einzelheiten ein Abfolge von Ähnlichem. Ausdruck fehlt. Kontraste fehlen. Offenbarung fehlt. Im Trio phrasieren Oboen und Flöte etwas pauschal ab, eher so wie sie es für richtig halten, da es Abbado nicht richtig kümmert. Im 1. Satz haut das Orchester aufeinanderfolgende Orchesterschlägen breit und gleichförmig raus, fast etwas vorlaut. Abbado lässt’s fließen. Da klingen die Philharmoniker so a bissl museal. Die Zeitmaße erschienen fast unkontrolliert. Plötzlich ist eine pompöse Breite im Saal. Mag sein, dass ein wehmütiger Abbado durch einen mit Soft-Aufwallungen durchsetzten Pauschalo-Stil die 90er aufleben lassen wollte.

Das Finale: Wow. Ein kompakter, bruchlos sich fortentwickelnder Klangteppich, dessen Bewegtheit im wilden, ausnahmslos über alle Noten üppig verteilten Glanz der Kulminationsstellen gipfelt – et voilà, da gabs immerhin ein paar Verzückungsanlässe. Ein, wenigstens ein Rohheitsausbruch wäre das i-Tüpfelchen gewesen. Kaum ist es vorbei, diskutieren Walter Seyfarth und Wenzel Fuchs. Pahud diskutiert auch.

Neben mir saßen zwei kulturverrückte Japanerinnen. Als Anne Sofie von Otter in geblümter Bluse, weißer Freizeithose und weißen Slippern hereinmarschierte, kicherten sie hinter vorgehaltener Hand. Als Isabelle Faust in vollbunter Flatterbluse aufs Podium schwebte, konnten sie sich vor Kichern kaum mehr auf den Plätzen halten.

Autogramme. In der Pause trägt Anne Sofie von Otter Nike-Turnschuhe. Isabelle Faust – kleine Ohren, das Gesicht eine hübsche Faltenlandschaft beim Grinsen – noch in der Flatterbluse, in diesem fröhlichen, bunten, kubistisch gemusterten Ausrufezeichen.

Kritik/Review Claudio Abbado Schumann: ein nicht immer überzeugender, wenn auch immer wieder mit leckerbissenhaften Philharmoniker-Spitzen durchsetzter Schumann