Staatskapelle Berlin, Philharmonie. Schönes Konzert.

Radu Lupus Understatement fällt auf. Er sitzt auf einem Orchestermusikerstuhl. Seine Körperhaltung ist nachlässig zu nennen, gekrümmter Rücken, betont zufällige Beinhaltung. Lupu reduziert Bewegungen, wo es nur geht. Ich höre nach 2 Minuten auf, die Grifffehler zur Kenntnis zu nehmen.

Irgendwann waren sie weg. Kaum ein Pianist spielt selbstbestimmter als Radu Lupu. Sein Rubato kann vollkommen überraschen und vollkommen einleuchten. Wer elegantes oder brillantes Klavierspiel schätzt, muss Lupu verteufeln. Lupu spielt, höflich ausgedrückt, klobig. Doch genug der Lupu-Kritik. Kaum jemand verfügt so frei über Struktur und Klang – „dann greift die Magie“, wie Frau Lemke-Matwey mal sagte. Die Rechte kann zu stechender Leuchtkraft finden. Lupus heftige, voluminöse Vollgriffigkeit ist so effektiv wie ein zehnstimmiges Glockengeläut, sie scheint der Gipfel des Unzeitgemäßen.
Barenboim liegt Brahms. Lupu auch. Das Adagio finde ich stets klerikal, so auch heute. Trotz Pollini spielt Lupu – mit Kissin, Silvesterkonzert – vielleicht das bedeutendste Konzert der letzten 12 Monate, das ich gehört habe.

Da sitzt der pianistisch gesehen nicht des Lupu-ismus verdächtige Pierre-Laurent Aimard und unterhält sich angeregt. Bei Beresowski im Januar war Aimard auch.

Die Lulu-Suite war hübsch. 20. Jahrhundert liegt der Staatskapelle nicht immer (Bartók). Rinnat Moriah (Sopran), ein zartes Persönchen, das auf zarten Stilettos balanciert, verfügt über eine nicht weniger zarte und vor allem leichte und – ich übertreibe ein wenig – kostbare Sopranstimme. Strauss‘ Till Eulenspiegel gabs beim Netrebko-Konzert letzte Woche schon. Heute klang die Staatskapelle konzentrierter und sicherer in der Extrovertiertheit. Die letzte solistische ff-Aktion der D-Klarinette war hübsch. Das macht nur Barenboim, dass er Musiker, die sich während des Applauses aus Versehen erheben, weil sie den Eindruck hatten, der Dirigent wolle, dass sie sich erheben, mit eindeutiger Geste wieder zum Hinsitzen auffordert. Eine artistische Einlage war der Blumenwurf Barenboims direkt in die ausgestreckte Rechte der, ähem, zweiten Fagottistin, wenn ich das noch richtig im Kopf habe. Ein Bravo für die Musikerin an dieser Stelle.

Review/Kritik Radu Lupu: unauffällige Weltspitze

Brahms Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll / Berg Lulu-Suite / Strauss Till Eulenspiegel