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Neulich an der Philharmonie-Kasse. Eine Frau steht vor mir. „Wat? 40 Euro? Dit is dit günstigste? Puuh, dit is aber jans schön teuer.“ Den letzten Satz hat die Dame schon etwas leiser gesprochen. Das Ende des Satzes habe ich kaum noch gehört, denn von Geld spricht man nicht gerne laut, es sei denn man hat zu viel davon. Gute Frau, Sie haben grundsätzlich Recht, dachte ich auf jeden Fall.
2010/2011 kostete die günstigste Kategorie 1 15 bis 53 Euro, ein Jahr später kostet die Kategorie 1 19 bis 60 Euro. 2010/2011 kostete die Kategorie 4 30 bis 110 Euro, eine Saison später kostet die Kategorie 4 40 bis 125 Euro. In 1 ist das eine durchschnittliche Erhöhung für alle Preisgruppen um 15%, in Kategorie 4 um 23%. Und das sind deutlich mehr als das Umsatzplus der Deutschen Börse im dritten Quartal 2011. Heftig, was?
Preise kann man auf mehrere Arten erhöhen. Die Berliner Philharmoniker nutzen sämtliche verfügbare Arten auf einmal. Sie erhöhen nicht nur die Preise für alle jeweiligen Preisgruppen. Sie verringern auch die Zahl der Konzerte der günstigen Kategorien 1 und 2 und erhöhen die Zahl der Konzerte der Kategorie 4. Kategorie 5 gab es 2011/2011 einmal. 2011/2012 gabs auf einmal schon 2 5er-Konzerte. Klar, dass Kategorie 5 auch teurer geworden ist, um knapp 20%. Das reicht? Papperlapapp.
Die Philharmoniker packen das Übel an der Wurzel an. Wie das geht? Sie erfinden eine neue Preiskategorie, die 6. 6er-Konzerte hat es bislang nie gegeben, auf jeden Fall soweit ich mich erinnern kann. Die 6 ist nicht nur äußerst teuer, sie ist schweineteuer. 6er-Konzerte haben Preisgruppen von 70 bis 220 Euro. Preissteigerung gegenüber der bis dato teuersten Kategorie: 64%. Die Komponisten des 19. Jahrhunderts brauchten vermutlich rund 50 Jahre, bis sie die durchschnittliche Länge eines Sinfoniesatzes um 64% zu steigern wagten. In Berlin wagt man 64% von einer Saison auf die nächste. Die Kategorie 6 hatte im Übrigen einen sympathischen, kurzfristig einberaumten Vorläufer, nämlich das Mahler-Gedenkkonzert im Mai 2010, das sich im Rückblick als philharmonischer Testballon entpuppt. Bei diesem Konzert wollten die Philharmoniker scheinbar herausfinden, ob die Leute auch in sauteure Konzerte gehen. Sie gingen hin.
Wo führt das ganze hin? Die Berliner Philharmoniker werden immer reicher und ich werde immer ärmer. Oder wird Jonas Kaufmann immer reicher und alle Berliner, zumindest diejenigen, die gerne in die Philharmonie gehen, wenn Jonas Kaufmann La fleur que tu m’avais jetée singt, werden immer ärmer? Oder werden alle ärmer und niemand wird reicher? Aber das ist eher unwahrscheinlich. Fragen über Fragen.
Das mit den immer steigenden Kartenpreisen der Philharmoniker ist tatsächlich eine für das gesamte klassische Musikleben eine sehr ungünstige Entwicklung. Orchester bestätigen damit das Vorurteil gegenüber der klassischen Musik, das Klassikmuffel von ihr haben: Sie wird „Musik für reiche Leute“ („rich people’s music“ scheint im englischen Sprachraum tatsächlich ein geflügeltes Wort zu sein). Bisher war dieses Vorurteil gerade in Berlin nicht berechtigt. Im Schnitt gab es bei Popkonzerten wesentlich weniger Möglichkeiten, an preiswerte Karten zu kommen als bei Klassikkonzerten. Die Philharmoniker machen Education-Veranstaltungen für Schüler aus finanziell klammen Familien, verschließen ihnen aber die Möglichkeit, das geweckte Klassik-Interesse auszubauen und einfach mal ins Konzert zu gehen.
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