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Berliner Philharmoniker Simon Rattle: Lachenmann Tableau Mahler Sinfonie Nr. 9
Wer beim Musikfest den Abend mit Stücken von Hans Zender gehört und sich gelangweilt hat (wie ich), der hat mit Sicherheit
Gefallen an Tableau von Lachenmann gefunden. Helmut Lachenmann ist heute Abend a Stückerl interessanter. Lachenmanns Tableau ist bis auf die überraschungslose Stelle, wo es plötzlich höllisch laut wird und man überrascht sein soll, allerfeinste Musik. Die achtköpfige Hörnerfraktion klingt zweitweise wie eine Gruppe melancholischer Elefantenbullen in der Brunftzeit. Ist manches ironisch oder nicht? Tableau ist eine interessante Verbindung von Minimalismus und Kreativität. Mehr Lachenmann, Herr Rattle? Danach, beim Mahler, sitzt Lachenmann genau da, wo Boulez am Pollini-Abend bei den vorletzten Festtagen saß. Lachenmann trägt das etwas altmodische Jacket (70er Jahre), das man bei einem in Ehren jung gebliebenen Heroen der zeitgenössischen Musik erwarten würde. Rüstig klettert Lachenmann über das kleine Gitter, auf dessen anderer Seite Rattle ihn mit einem großherzigen Grinsen in Empfang nimmt. Auf dem Podium angekommen, drückt der lange Lachenmann den kurzen Simon Rattle unter den wohlwollenden Blicken der Musiker an sich.
Die Neunte mit den Berliner Philharmonikern. Über die Mahler 9. etwas zu sagen ist weniger schwer, als sie zu spielen, aber nicht unbedingt leichter, als sie anzuhören.
Der erste Satz ist ziemlich bald nach dem Beginn von konsequent krasser Polyphonie. Der zweite Satz war ein Schmankerl. Er hätte heute Abend auch taube Mitarbeiter der Berliner Stadtreinigung zu heißen Mahlerverehrern gemacht. Überhaupt werden einem Satz 2 & 3 vom wie von der Leine gelassenen Orchester ins Ohr gestanzt. Man hat stellenweise Angst, dass man nach dem Konzert auf dem Potsdamer Platz plötzlich merkt, dass die Gehörgänge verheddert sind. Diese pausenlos wirksame Energie hört man nur hier. Was mir an Simon Rattles Mahler noch gefällt, ist das Fehlen jeglichen 19.-Jahrhundert- oder Jugendstiltons, der an Abbados Mahlerdarbietungen bisweilen auf-, keinesfalls indes missfällt (behüte Gott, wir alle lieben Abbado!). Rattle gelingt dennoch das Kunststück, mit den Berliner Philharmonikern den Mahler als Mahler ohne jede Neoromantik zu spielen. Das ist so wohltuend wie ein Glas Honig ohne Butterschlieren und Brotkrümel. Ich finde das statthaft, angemessen, geboten.
Der dritte Satz erreicht seinen effektvollen Höhepunkt heuer nicht am Ende des Satzes, sonder in der Mitte. Das Ende klang 2007 wuchtiger und kompakter, sozusagen nachzitternder. Heute klingen die letzten Schläge extrovertierter und aufgedrehter, sind aber schneller vorbei. Wer sich an die schiere, dumpfe Gewalt, die damals von der Schlagkraft des Orchesters ausging, erinnert, wird mir vielleicht beipflichten. Eine fröhliche, vorwitzige Klatscherin aus Block A bringt Simon Rattle zum Schweigen – also er sie, nicht sie ihn -, indem er den vierten Satz beinahe attacca folgen lässt. Der vierte Satz demoralisiert jeden Hörer. Selbst jene hartnäckigen Optimisten, die sich im zweiten Satz zu ihrem Sitznachbarn hinüberlehnen und „gefällt mir, klingt wie Weber, Freischütz, da-daaaa, da-da-da-da-daaaa-daaa“ flüstern, sind spätestens dann vollständig demoralisiert, wenn Mahler dem Orchester im vierten Satz eine OP mit einer Kombi aus Vollnarkose und vollem Bewusstsein verpasst.
Die schönsten Stellen: Stefan Dohrs alles wagende Soli in den Sätzen 1, 2 und 4, die kompromisslose Energie der Geigen, Bratschen, Celli, Bässe, wenn’s laut wird – eine Art kategorischer Imperativ in Form eines Streichertons. Dann die beängstigend komplexe und irgendwie optimistische Gewalt der Kumulationsstellen (ein Hauch Strawinsky?).
Konzertmeister ist Guy Braunstein, neben ihm Herr Kashimoto. Andreas Ottensamer Klarinette, Andreas Blau flötet (engagiertes Zusammenspiel mit Dohr), Marion Reinhard (2 herzzerreißende Kontrafagott-Soli), Walter Seyfarth (schrille Klarinetten-Pirouetten), Máté Szücz 1. Bratsche. 1. Cello wahrscheinlich Herr Quandt, ich kann mich nur noch mit Gewissheit daran erinnern, dass Martin Löhr neben dem 1. Cello saß.
Fertig. Simon Rattle kämpft sich zu Matthew McDonald und Janne Saksala durch, schüttelt beiden die Hände, dann kämpft er sich zu Andreas Blau durch (großer Applaus), dann kommt Albrecht Mayer dann (etwas kleinerer Applaus), dann Ottensamer (normaler Applaus), dann Damiano (normaler Applaus), dann Stefan Dohr (sehr großer Applaus), dann Gabor Tarkövi (etwas kleinerer Applaus), dann stehen die Blechbläser auf. Dann arbeitet sich Rattle wieder vor, schüttelt Máté Szücz (etwas größerer Applaus) die Hände, dann Guy Braunstein.
Celli heute Mal Mitte rechts, Bratschen Mitte links, zweite Geigen rechts.
Ja, da schaugst. Wolfgang Kohly ist wieder da. Ja, da schaugst, Solène Kermarrec hat das rote Cello wieder, das sie hatte, als sie ganz frisch dabei war. Wie so oft plauschen die Bläser gleich nach Konzertschluss drauf los, die Streicher erst Mal nicht, mit zwei Ausnahmen. Solène Kermarrec plauscht sofort mit ihrem Pultnachbarn um die Wette, Guy Braunstein plaudert mit Kashimoto. Bei Braunstein könnte man denken, klar, muss er machen, das ist so, wie wenn Klaus Kleber nach dem offiziellen Ende des Heute-Journals mit Gundula Gause losquasselt, weil es unprofessionell aussieht, wenn er stumm dasitzt. Aber Solène Kermarrec ist weder Guy Braunstein noch Klaus Kleber und war anscheinend nichts anderes als in Plauderlaune. Die aufregendste blonde Haartolle der Philharmoniker saß wieder unter den ersten Geigen. Wolfgang Kohly erwähnte ich schon.
Und das Fazit? Wie sagte G. B. Shaw einmal: But on the whole the little band did very well.