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Bevor die Saison in Berlin richtig losgeht, hier noch mal eine Retroperspektive des letztsaisonalen, viertägigen Gastspiels der Wiener Philharmoniker in Berlin.

Was ist aus den Berlinern Wintern geworden? Bis vor kurzem war der Berliner Winter in ganz Europa für seine Milde und Schneefreiheit bekannt und belächelt. Das ist jetzt anders. Eis und Schnee sowie ein haarsträubend vereister Potsdamer Platz erschweren den Besuch von Konzerten in der Philharmonie und an anderen Orten der Hauptstadt. Man fragt sich, wie die Musiker die Instrumente in die Philharmonie transportieren, ohne dass Geigen, Oboen und Trompeten sich in der Kälte verziehen.

Die Bank-Plätze, die sich auf dem Umgang im ersten Stock vor der mit runden Glasbausteinen durchbrochenen Wand befinden und die sich vor dem Konzert großer Beliebtheit erfreuen, werden nur sparsam benutzt, da die Kälte durch die Wand strahlt. Jetzt hat man Bänke vor die Wände gestellt.

Sie sind wieder weg. Die Wiener Philharmoniker. Ganz Berlin war da, wenigstens der Teil von Berlin, der in die Philharmonie passt. Getreu dem Ausspruch Alfred Kerrs, es sei mehr Beethoven nötig in der Welt, spielten die Wiener Philharmoniker ausschließlich Beethovensinfonien. Die Wiener Philharmoniker haben ein erbostes Berliner Feuilleton und, was mindestens genauso schlimm ist, ein zerstrittenes Berliner Musikpublikum hinterlassen. Zerstritten deshalb, weil durchaus Uneinigkeit über den musikalischen sowie den künstlerischen und dann überhaupt über den Wert des Beethovenzyklus der Wiener Philharmoniker unter Christian Thielemann herrschte. Das erboste Feuilleton regte sich insbesondere über alles auf. Dass die Wiener, diese dahergelaufenen Laffen, anders klingen als die Berliner. Dass die Wiener keine neuen Noten auf den Pulten haben. Dass sie es mit den Mädels nicht so dolle haben. Dennoch hat das ganze musikliebende Berlin Anteil an den Konzerten der Wiener genommen.

Die musikalische Ethnologie machte Fortschritte. Fortan wird kein Schluri auf dem Kudamm mehr sagen können, die Berliner Holzbläser klängen sowieso wie die Wiener. Auf jeden Fall waren die vier Konzerte der Wiener Philharmoniker eine willkommene Abwechselung vor den anstrengenden Wochen, die vor Weihnachten liegen. Also. Die Erste war langweilig. Die Zweite spielten die Wiener besser als die Berliner, zumindest sagt das die unbeständige Erinnerung. Die Dritte klang unter Simon Rattle (Beethovenzyklus 2008) ein paar Ticken besser, packender, energischer. Die Vierte war schlichtweg langweilig. Die Fünfte fast noch mehr. Die Sechste war herrlich. Die Siebte bekam Rattle deutlich besser hin, und auch Tubendrücker Dudamel machte die Siebte mit der Staatskapelle Berlin heftiger. Die Siebte der Wiener hatte was gemächliches. Eine Note Karl Böhm, eine Färbung 1970 machte sich bemerkbar. Die historisierende, durchtriebene Achte klang herrlich; es war die einzige Sinfonie, bei der ich Christian Thielemann nach einigem Zögern den Vorrang vor Rattle geben würde. Die Neunte war auch herrlich. Na, der langsame Satz hatte Längen, hatte er bei Rattle aber auch.

Und, wie waren sie, die Wiener? Viel schlawinerhafte Perfektion, ein Schuss Erotik und etwas sorgfältig kultivierte Schlampigkeit. Der Eindruck war doch, dass zwischen Wien und Berlin der eine oder andere Kulturunterschied herrscht. Oder liegt es an Thielemann? Hmm. Der verwuschelte, skandalös liebreizende Klang der Holzbläser ist aber eine Sache, die einem Schauer über den Rücken jagte. Und die Hörner ließen aller Ermüdungskiekserchen zum Trotz einen wundervollen Tiziangoldschubertbrucknerherzschmerz-Ton hören. Die Streicher… Bei den Berlinern Phillies hört man Streicher, die in der Luft stehen wie eine bösartige Libelle. Die des Concertgebouworkest Amsterdam klingen unter Jansons absurd 21-jahrhundrig, wenn sie Poulenc spielen. Nach solchen Erfahrungen ham die Wiener bei aller Einzigkartigkeit doch etwas von k.u.k.-Plüsch, von Hofmannsthal.

Seit die Wiener Philharmoniker da waren, stöbere ich gerne auf Seiten mit österreichischen Ausdrücken. Da finde ich zum Beispiel Schlagobershauberl. Oder umeinanderpfoadln. Wenn die Berliner Philharmoniker demnächst mal wieder so richtig locker unterwegs sind, dann denke ich: Die tun umeinanderpfoadln wie die jungen Backhendl. Und dennoch hörst do nix Verwordaggeltes. Und dann setzt der Berliner Schluri Wenzel Fuchs do auf die Geigerln so ein Schlagobershauberl von Klarinettenstubser drauf, do schaust wie a Uhu noch’m Woidbrand.
Kritik Wiener Philharmoniker Christian Thielemann: extrem luxuriös, aber nicht ohne Fragezeichen