TRISTAN UND ISOLDE Daniel Barenboim Harry Kupfer Waltraud Meier René Pape Peter Seiffert Ekatarina Gubanova Roman Trekel Reiner Goldberg Arttu Kataja Florian Hofmann
Sozusagen die Generalprobe für die beiden Festtagsvorstellungen zu einem Drittel der Festtagspreise. Das Vorspiel mit einigen Fehlern und vielen Ungenauigkeiten. Ein schrecklicher Hornschnitzer im ersten Akt. Klarinette, Flöten, Englischhorn toll. Ebenfalls die Streicher (seufz). Nach dem ersten Akt klatscht Barenboim dem Orchester zu. Offensichtich war er da wieder zufrieden.
Waltraud Meier ist angeschlagen, lässt sich entschuldigen, lag kurz vorher noch im Bett. Ein Raunen der Angst ging durch den Saal, als der Herr der Staatsoper mit der Ankündigung vor Beginn auf der Bühne erschien. Die ganzen drei Akte in Bezug auf Meier daher ein Wechselbad der Gefühle: unwillkürliches Lauschen auf Stimmschwächen, prophylaktisches Etwas-ungenauer-Hinhören, kurze Schauer bei Unsauberkeiten, wenn sie denn kommen. Das war wie Gehen auf dünnem Eis. Waltraud Meiers Stimme trug bei den großen Entfaltungen. Einiges war vorsichtiger gesungen, weniger intensiv phrasiert, mehr auf Korrektheit als auf Interpretation bedacht, weniges im p- und pp-Bereich gelang offen hörbar nicht in gewohnter Weise. So bei ‚Mild und leise‘, wo die Stimme während der ersten Silbe lange nicht ansprang und das dann so klang, wie wenn ein Zwölfzylinder-Motor eines Maserati Probleme beim Starten hat. Dies alles steigerte die Hochachtung vor der Leistung von Opernsängern (insbesondere der von W. M.) womöglich noch. Heute sang Waltraud Meier ‚Das Schwer, ich ließ es sinken‘ statt ‚…fallen‘. Seiffert revanchierte sich mit ‚Starb ich nun ihr‘ anstatt ‚Stürb ich…‘, was indes viele Tenöre so machen, denen der deutsche Konjunktiv II wohl generell nicht ganz geheuer ist.
Waltraud Meier: nervöse Pracht der messerscharfen Höhepunkte. Irrlichtern der Farben bei höchster physischer und psychischer Anspannung. Die tiefe Stimme sehr fahl. Vieles ist von blendender Schönheit.
Ich schaute immer mit Neid auf die regelmäßigen Aufritte von Peter Seiffert an der Deutschen Oper – auch wenn der Wagner dort gegenwärtig sauschlecht dirigiert wird. Indessen gefiel der stimmgewaltige Peter Seiffert heuer nur wenig. Ungezügelt laut, monochrome Farbgebung, klobige Phrasierung, infolgedessen rudimentäre Binnendramatik. Über Ian Storeys und Robert Gambills Tristan, Burkhard Fritz‘ Lohengrin bzw. Parsifal oder Domingos Parsifal kann man ja sagen, was man will, aber bei denen hat man nicht das Gefühl, da fahre einer mit einem Traktor durch einen Gemüsegarten.
Roman Trekels Kurwenal noch besser als bei der Saisoneröffnung, ein überaus dickerer Pluspunkt als Seiffert. René Pape viel besser als Ende August. Entweder hatte ich damals die Ohren verstopft oder Pape war damals wirklich nicht so gut. Den fehlenden hochdramatischen Kern der Stimme bemerkt man nur an ganz wenigen Stellen. Die weiche Fülle der Stimme steigert Pape zu heftigem, sonorem Strömen. Ekatarina Gubanova: herrje, habe ich jemals ein herrlicheres ‚Dir zu entsagen‘ gehört? Anfangs des ersten Aktes verdeckte das Orchester Gubanova. Unten ist Gubanova nicht besonders mächtig, doch die flutende Höhe hat so eine prickelnde, kostbare Frische. Für Pape kürzere, aber lautere Ovationen, für Meier längere, aber weniger laute Ovationen.
Den zweiten Akt noch nie so schnell von Barenboim gehört. Heute liegt ein weißes Handtuch auf dem Pult. Hinter mir sitzt ein hartnäckiger Bravorufer, der loslegt, sobald Barenboim aus dem Künstlerzimmer kommt. Noch als die Ovationen nach dem dritten Akt andauern, kommt eine Kohorte Mädels für die Spät-Opernführung in die Mittelloge. Damit wären wir bei den Pluspunkten der bisherigen Berliner Saison: Rattles Schostakowitsch, Rattles Sibelius, Gidon Kremers Schostakowitschkonzert unter Barenboim, Domingos Boccanegra (ebenfalls mit Barenboim), Barenboims Tristan, Pollinis Chopin.