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Kritik Berliner Philharmoniker & Konzertbericht. Claudio Abbado dirigierte in der Philharmonie. 2004 gab es Mahlers Sechste, 2005 Mahlers Vierte, im Juni 2006 war Abbado mit Musik von Richard Wagner und Robert Schuhmann zu Gast. Sie erinnern sich? Es waren leise Wesendonck-Lieder (so leise wie nie), etwas zu klassizistisch von Anne Sofie von Otter gesungen, und Robert Schumanns nicht ganz zukunftssicherer Manfred konzertant (vor dem Konzert der wärmste je gehörte Willkommensapplaus, der Manfred teilweise traumhaft schwebend, mit leichtesten Gewichtungen und von ins abgründig Ästhetische getriebenen musikalischen Instinkten). Abbado dirigierte nun im Mai 2007 ein Violinkonzert von Bach (d-moll, eigentlich für Cembalo, Kolja Blacher souverän, aber nicht Kremer-haft, nicht Mutter-haft) und das verblüffende, beglückende Konzert für Violine und Blasorchester (op. 12) von Kurt Weill, eine Musik, die unter Claudio Abbado komplex und straff wie die Meistersinger klang. Einer der Höhepunkte der Saison, die Bläser der Philharmoniker überexakt, Weills phänomenale Musik mit jedem Mundhauch ausformend, federnd (man lese Adornos Anmerkungen über seine Begegnung mit dem Stück im Jahre 1930). Das reduzierte Orchester war mit Freiheit und Zug zur Sternstunde unterwegs. Es war eine.
Kurt Weill war als Ganzes der Höhepunkt des Abends, Brahms Dritte Symphonie hatte unsterblichere Stellen… und auch nichtssagendere. Die Dritte wies in den Ecksätzen (bei diesen dicklichen ff-Blech- und Streicherverknotungen) Stellen auf, die nicht ganz wie auf Messers Schneide klangen. Abbado war da erschlafft oder unkonzentriert nach der grandiosen Lyrisierung der leisen Stellen. Beim Leisen war dann jedoch eine Fülle des Gestaltens, die wie alles Gute exzessiv und paranoid war.
Viel Atem nehmendes Morendo, wie ein Musizieren am äußersten Rande der ästhetischen Wahrnehmung. Abbado ist keiner, der aus der Härte des Themas die Berechtigung für Bewegung und Leidenschaft holt. So kam es zu dem merkwürdigen Umstand, dass die Kulminationsstellen fast nur halbe Konzentration erforderten, die Übergänge, zweiten Themen, das Ansetzen und Aufhören, die nicht nur gelangen, sondern traumhaft, fern jeder Logik schienen, hingegen selbst für die vollste Konzentration noch zu komplex schienen. Andante und Poco Allegretto (seltsame Koinzidenz zu Rattles Bruckner-Vierten) waren also Offenbarungen. Dieses Abphrasieren von Streichern und Bläsern, das erstirbt, dieses erneute Schwungaufnehmen des Orchesters bei hellstem Bewusstsein. Und das alles mit einer Melancholie hingelegt, einer Todessehnsucht, doch ohne Ostentation, nur der Musik zugetan, nur der verhaltensten Sprache zuhörend.
Also ein Brahms ohne symphonische Gewalt der Tutti, ja, der leichten Ratlosigkeit im Fortissimo, aber umso mehr der Beschwörung eines Äußersten im Piano und pp. Abbados Tugenden: Anverwandlung ans Unsagbare. Abbados Untugenden: mangelnde Straffheit in extremis. Kurt Weills überwältigendes Konzertchen machte mit Präzision Furore. Der Bach ließ alle Optionen offen, roch von ferne nach Alterswerk, hatte seine Größe in einer von jeder Verpflichtung auf schon Gehörtes freien Musikalität.
Kritik Claudio Abbado & Philharmoniker: