Daniel Barenboim Stefan Brachmann Hanno Müller-Brachmann Waltraud Meier Clifton Forbis Reiner Goldberg Kwangchoul Youn Rosemarie Lang Gerd Grochowski

Opernkritik Tristan und Isolde. Dies ist die bebuhte, kühl kalkulierende Tristan-Inszenierung, deren Bühnenbild von Herzog & de Meuron und deren Inszenierung von Stefan Brachmann stammt. Herzog & de Meuron schließen die Bühnenöffnung mit einer schneeweißen Gummiplane, bei der man nacheinander an Epidermis, Magenwand und Fruchtblase denkt; vorwitzige Kommentatoren nannten dies die Kondomwand. Die Idee, an diese Gummifolie Masten, Rahen und Körper von rückwärts zu drücken, so dass diese wie höhere Geisteszustände aus dem poetischen Jenseits schienen – das hatte was. Sie verhinderte jedoch nicht die massiven Buhs am Vorstellungsende. Die Konstruktion war jedoch technisch nicht ausgereift. Colin Forbis (Tristan) besaß bei einem Riss der Plane die Kaltblütigkeit eines echten Heldentenors und stemmte minutenlang den Fuß auf die angerissene Plane. Vermutlich war dies der Anfang vom Ende des Tristans von Herzog & de Meuron, das dann auch später sang- und klanglos kam.

Barenboim macht den Berliner Tristan groß. Die letzten Takte des ersten Aktes des Tristan waren grandios. Das Zuschlagen des Orchesters, die Hochdramatik in wenige Takte zusammengedrängt… Der erste Akt war zum Bersten gespannt. Der erste Akt des Tristan ist der spannendste, der zweite hat die bessere Musik, der dritte hat den Vorteil, dass, je länger er wird, die Oper desto kürzer wird. Barenboim holt das Maximum an flutender Kontinuität, explodierender Hitze und implodierender Sprache aus dem Orchestergraben. Statt Peter Seiffert (typische Absage der Staatsoper) sang Colin Forbis Tristan – sauber, ordentlich das Nötige stemmend, auch der Nuancen fähig, allerdings ohne Glanz zu verursachen. Waltraud Meier war mit der erwarteten Meier-Genauigkeit unterwegs. Ihre Stimme arbeitet sich wie ein Diamantfräser durch die Musik. An Effektivität mäht sie alle nieder. Den ersten Akt machte sie zu einer Mischung aus Prä-Ibsen und Post-Hebbel.

Wagner schuf im ersten Akt mit der Isolde die Frau als Gewitter. Wie alt ist Isolde 15? 20? 30? 40? Wahrscheinlich auf Jahr und Tag so alt wie Waltraud Meier. Alles andere wäre Unsinn. Waltraud Meiers Mezzo hat Härte, Kraft und Pulsationen. Der dritte Akt besaß die gewohnte Länge, unter anderem wegen Forbis, aber auch Barenboim ließ das Ende auslaufen, statt es aufzuschichten. Oder man ist, sobald sich Handlung, Musik und Publikum diesem „Tot denn alles! Alles tot!“ nähern, zu rasch gealtert, um den dritten Akt zu genießen. Die sich selbst übersteigende, den Zuhörer traumatisiert zurücklassende Bewegtheit des Orchesters hielt indes alles, was ein Tristan nur versprechen kann.

Barenboim dirigiert: Man hört immer das Nichtgespielte mit. Der Klang ist auf das, was nicht klingt, bezogen. Die vibrierende Härte von Meiers Isolde begehrte überzeugend gegen die pessimistische Glut von Barenboims Orchester auf. Waltraud Meier verkörpert das Drama, Barenboim rhapsodische Intensität. Meier fordert, Barenboim gibt, Meier haut auf den Putz, Barenboim befeuert. Barenboims Souveränität des Gestaltens stößt kaum an Grenzen, realisiert sich jedoch stets im Inneren von Wagners Musik. Es gibt Leute, die weinen im zweiten Akt wegen der Schönheit der Musik. Opernkritik Tristan und Isolde Berlin Staatsoper: einer der Juwelen in der Staatsopernkrone.