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Wer den sechsundzwanzigjährigen Lang Lang unter donnerndem Applaus vom Podium gehen sieht, spürt die Last, die das Dasein als junger Star bringt. Unsicher winkt er auf dem Gang ins Künstlerzimmer zwei Mal ins weit über ihm sitzende Publikum der Philharmonie. Unsicher lächelt er. Unsicher steht er neben Ozawa, der den Konzertmeistern der Philharmoniker mit rührendem Eifer dankt; Lang Lang weiß vor Verlegenheit nicht, wohin mit den Händen. Also legt er die Fäuste auf den Hüften ab. Wann hat man das in der Philharmonie schon einmal gesehen?
Lang Lang in der Philharmonie
Der Druck des Publikums, das eine Zugabe erwartet, lastet sichtbar auf Lang Lang. Er gibt keine und scheint nicht glücklich damit. In diesen Momenten mag sich Lang Lang nach der Souveränität Pollinis sehnen, der Zugaben, wenn er denn keine gibt, mit einer zerstreuten Prinzipienfestigkeit nicht gibt, die auf ganzer Linie einnimmt. Lang Lang schmeißt die Linke nach dem Schlussakkord des Finales tatsächlich über die Schulter.
Man wünschte fast, er strafte alle Gerüchte Lügen und täte es einmal nicht. Und hier die Kritik: Lang Lang verströmt die Aura eiserner Disziplin. Man merkt’s: Der Zuhörer soll den Willen zu reüssieren spüren, die Manier erkennen, auf dem kürzesten Weg von A nach B zu wollen. Der Anschlag ist klar und hart. Passagen kommen turbulent, gestochen scharf, doch ohne Fixierung auf den Zielpunkt der Phrase. Er besitzt ein leidenschaftliches Staccato. Linien modelliert Lang Lang hauptsächlich mit Hilfe dynamischer Eingriffe, die dramatisch begründete Phrasierung scheint sein Musikverständnis nicht zu treffen. Gerade an den pp- und p-Stellen des zweiten Satzes ist die Behandlung der melodischen Linie ungewöhnlich, intensiv, stellenweise gewollt, doch schlussendlich hochkarätig. Die Kritik, Lang Lang spiele mechanisch, lässt sich teilweise bestätigen. Der dritte Satz ist langweilig: zu viel robuste Heftigkeit.
So schön ist Mendelssohns Klavierkonzert
Felix Mendelssohns Klavierkonzert ist von jener entzückenden Perfektion, die dem Zeitalter entstammt, als Meisterwerke noch in vier Wochen geschrieben wurden. Der crescendierende Beginn scheint aus dem Freischütz zu stammen. Ozawas Haare sind wie die von Rattle nach wie vor eine Attraktion. Und damit zur Brucknersinfonie. Die Crescendi klangen während des ganzen Konzertes außerordentlich stichhaltig und stellten eine Meisterleistung inn sich dar. Sie machten nicht die beeindruckenden, noch sportlicheren Crescendi Daniel Hardings (Sinfonie Nr. 4, LSO) des vergangenen Septembers vergessen. Die Ozawas waren langsamer, erregender und in fast jeder Hinsicht vollkommener. Sehr gut. Simon Rattles Hochspannung ist ja freilich noch etwas anderes. Dafür geht Rattle ein wenig die gewissermaßen architektonische Sicherheit Seiji Ozawas ab. Vor dem Finale postiert sich Seiji Ozawa breitbeinig auf dem Podium, um für das, was kommt, gewappnet zu sein. Er beschwört das Orchester dreimal ein, beugt sich vor, streckt den Kopf vor, die Hände aus und wirkt wie der Pumuckl unter Starkstrom. Sonst ist in Ozawas Gesten viel Zartes. Die Streicherfiguren des ersten Themas des Adagios zupft er geradezu aus dem Orchester heraus. Im Mai hört man Ozawa nochmals mit Mendelssohn-Bartholdys Elias. Bruckners Erste verströmt eine intensive Frische. Der einfache und prachtvolle Schnitt der Themen, die erregende Instrumentalisierung entzücken.
All jene, die aus Ignoranz (oder Begeisterung) gerne nach dem ersten Satz einer Sinfonie klatschen, hätten an diesem Abend klatschen können. Aber da diese Leute immer alles falsch machen, haben sie an diesem Abend nicht geklatscht. Das Scherzo ist ein Satansbraten im Viervierteltakt. Die Philharmoniker bieten diese hervorragenden Bratschen, die mit präziser Kraft spielen. Konzertmeister Daniel Stabrawa. Soloflötist Emmanuel Pahud. Solooboist Jonathan Kelly. Albrecht Mayer sieht Kelly manchmal verflucht ähnlich, so dass man die beiden von Ferne hin und wieder verwechseln kann, was im vorhergehenden Text vielleicht hin und wieder passierte. Diese Mal war es aber mit absoluter Sicherheit Kelly.
Ozawa lässt die 1866er Fassung spielen. Aufgrund der geradezu kontinuierlichen Geräuschkulisse, die Hüstler, Huster, Keucher, Taschenkruschtler und Bonbonauspacker gerade in diesem Konzert verursachten, wird klar, dass es früher oder später seniorenlose Konzerte geben wird. Eines der Konzerte einer Zweier- oder Dreierserie wird ausschließlich für Menschen unter beispielsweise fünfundfünzig Jahren zugänglich sein. Musikfreunde mit empfindlichen Ohren werden in einem seniorenlosen Konzert die Möglichkeit haben, ein weitgehend von akustischen Störungen freies Konzert genießen zu können. Senioren sowie Leute, denen es gleichgültig ist, ein Orchester von beständiger akustischer Luftverschmutzung bedroht zu wissen, können die restlichen Abende einer Miniserie genießen. Senioren, die nach Besuch eines Arztes nachweisen, dass sie kerngesunde Bronchien besitzen, werden zudem zu seniorenfreien Konzerten zugelassen, aber nur auf Bewährung.