Zwei Stunden Happy Hour beim RSB unter Chef Jurowski.

Mit dem Violinkonzert von Alban Berg ist es wie mit Prousts Suche nach der verlorenen Zeit. Die Verehrung ist groß, aber sich damit beschäftigen ist was anderes. Sperrig, ach was, missmutig mutet das Konzert an, egal wo mans hört. Und das, obwohl es mit Walzern und Jodlern aufwartet. Und mit dem Untertitel des Jahrhunderts, Dem Andenken eines Engels. Zweisätzig wie Bartóks frühes Violinkonzert, erhält es wie dieses seine spezifische Färbung durch einen emotionalen Background. Dort 1907 Stefi Geyer, hier 1935 Manon Gropius.

Michail Jurowski dirigiert ohne Nachlassen zupackend, symphonisch. Christian Tetzlaff packt seinen Berg wild an. Tetzlaffs Ton ist ernst bis zum Harschen.

Das klingt nach harter (Gefühls- und Gedanken-)Arbeit. Cool, dass Solist und Dirigent in der Philharmonie auf einen gemeinsamen Interpretationsfokus stehen. Man geht weg von der Trauer um einen Wiener Backfisch, versteht die Musik als das Drama und interpretiert drängend intensiv. Vor der Stille blasen die beiden Posaunen den Choral drohend und massiv, erst deciso, dann risoluto, dann molto espressivo e amoroso.

Das Werk ist gespickt mit Doppelgriffen, sowohl im Allegretto scherzando mit seinen zwei Trios als auch in der Kadenz. Einfach nur pure Freude verschaffen Tetzlaffs Doppelgriff-Portamenti. Im zweiten Satz geht der Geiger mit der Kadenz durch die Decke.

Gil Shaham wird das im Januar bei den Berlinern sicherlich ebenso vorzüglich und doch ganz anders spielen.

Auf dem Pult: links Anna Korsun, rechts Brahms

Die Interpretation der 2. Sinfonie von Brahms ist 1a, zumindest in Satz 1 und 2. Bei Jurowski heißen die Zauberworte Zusammenhalt einer durchfühlten Architektur und Einbindung ins große Ganze. Die Themen folgen aufeinander geradezu zwingend zwanglos. Könnte man Grandezza der Verhaltenheit nennen. Die Exposition ist mit der Beste Berliner Brahms seit Jahren. Das Tempo ist goldrichtig. Die Durchführung sackt ein bissl runter, aber die Reprise ist wieder on top. Auch der 2. Satz springt klangperfekt in den Saal, ruhig entwickelt das RSB Form und Ausdruck. Tiefernst ist das. Und wohltuend souverän. Das Allegretto-Scherzo mit seinem apart flexiblen A-B-A‘-B‘-A“-Formgehäuse kommt anfangs etwas starr, das Finale mit der genial verkürzten Reprise ohne das Quäntchen Lockerheit. Man tut dem Satz doch leichte Gewalt an, wenn man dessen lieto-fine-Charakter gänzlich unterdrückt. Die letzten Takte fegen dann aber alles weg.

Am Anfang steht Terricone von Anna Korsun, Jahrgang 1986, Ukrainerin. Das gut gemachte, 12-minütige Stück will objektiv schildern. Es wirkt starr und intensiv. Schiefergrau das Idiom. Im Ergebnis kommt da viel kalkulierte Unwirtlichkeit zusammen. Formal ist das Stück mit zwei langen Abklingphasen zu Beginn und dem langen Steigerungsanlauf zu Ende, gefolgt von einem Epilog, gelungen. Ist m.E. immer eine fette Qualitätsminderung: Wenn Musiker während der Aufführung qua Partitur schreien müssen.

Es ist genug.

„Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin trifft [Korsun] zum ersten Mal zusammen.“ Halt! Ehre, wem Ehre gebührt, gab es bei Ultraschall 2023 nicht schon Korsun bei einem RSB-Konzert, allerdings mit viel random suboptimalen Werken u.a. von Tjøgersen, Bång, Newski?