Eine gute Walküre. Leicht abfallen tut nur der erste Akt.

In Aufzug I reiht sich Eric Cutler in die Reihe mittelmäßiger englischsprachiger Siegmunde ein. Die klingen wahlweise nach Arts College Student aus Kansas oder nach College-Sportler aus Iowa. Cutler klingt nach letzterem. Cutler verbindet ein tolles Timbre mit lauten und fantasielosen Wälse-Rufen. Der letzte richtige Siegmund war Seiffert im Schillertheater. Cutler dringt mit der Mittelstimme nicht recht durchs Orchester. Und dazu dieses Iowa-Deutsch. Sieglinde (Vida Miknevičiūtė) ist gut in Akt I und ausgezeichnet in Akt II. Vibrato und Timbre sind eisenstreng. Höhepunkt ist Da er sie liebend umfing. Ihre Spitzentöne sind wie Granit, dazu kommt eine Bühnenpräsenz, der man Scheu und Leidenschaft abnimmt. Der Hunding des Finnen Mika Kares ist schon der schieren Größe der Bassstimme wegen hörenswert. Doch bei Miknevičiūtė wie bei Kares mag man leichte Defizite bei einer plastischen und expressiven Deklamation bemängeln. Vor allem, wenn die nachfolgenden Kollegen mit auf der Bühen stehen.

Christian Thielemann Staatsoper Berlin Walküre
Wotan hat die Nase voll: fast drei Oktaven Chromatik hoch, dann großer Knall ff d-Moll

Die zweitgrößte Überraschung des Abends ist Anja Kampe (Trenchcoat in edlem Dunkelblau und sportive Schlabberhose). Ihre bisherigen Berliner Brünnhilden waren nicht gut. Die Stimme klang zu leicht, es wurde ein Volumen markiert, das kaum irgendwo echt klang (ich habe den RBB-Stream von 2022 vor einigen Wochen während mehrerer schlafloser Nächte in Matratzenlagern von SAC-Hütten nicht nur einmal durchgehört). Zumindest die Walküren-Brünnhilde scheint ihr nun besser zu liegen. Jetzt steht da eine Figur auf der Bühne, die berührt. Und die kein 0-8-15-Pathos abliefert. Jetzt warte ich auf die Siegfried-Brünnhilde.

Die größte Überraschung des Abends ist Christian Thielemann. Zumindest, was das Tempo angeht. Ich könnte schwören, dass diese Walküre teilweise sogar schneller ist als die von Jordan 2024. Denn der Premieren-Ring wurde unter Thielemann ungleich breiter musiziert. Die Walküre 2025 zelebriert den Zusammenhalt von Graben und Bühne, bindet das flexible Tempo organisch in den Fortgang der Orchestermelodie ein, verschiebt den Akzent zum Symphonischen. So wird zugunsten des nahtlosen Flusses auf ein Herausstellen der Gesten – und auf Barenboims expressives Drama – verzichtet. Zum Ausflippen die Souveränität des Orchesters bei der Apotheose des Walkürenmotivs im zweiten Vorspiel. Das Auslaufen in den ppp-Schluss des Finales – nach wiederum Bravo-würdigem ff-C-Dur des Siegfriedmotivs – sagt mir allerdings nichts. Krass gut die zahllosen Überleitungen und Orchesterrezitative. Wenngleich 2019 Barenboims Souveränität noch umwerfender war. Aber der hatte auch 30 Jahre Erfahrung mit Saal und Kapelle.

Ausgezeichnet Claudia Mahnke als Fricka (spektakuläre Rüschenbluse in hellem Messing-Gelb). Mahnke dürfte so Fricka-erfahren sein, wie Fricka ihrerseits Ehezank-erfahren ist. Mahnkes Temperament geht überall mit, von Ich vernahm Hunding’s Noth bis zu So ist es denn aus. Der Vortrag: wunderbar wortgenau. Mahnkes Fricka hat Gefühl und Würde. Das Feuer der Empörung – der Ehefrau und der Göttin – wirkt nie outriert, wird gedeckt durch herzzeißende vokale, bis in kleinste Nuancen der Interpretation reichende Meisterschaft (das Jahr 2013, mit Kohl, Mahnke, Damerau, war, zumindest was Bayreuther Nornen anging, ein Jahrhundertjahrgang). Es war jammerschade, als diese Fricka, unter den Klängen des Fluchmotivs, aus diesem 2025er Ring, sozusagen für immer, abmarschierte.

Wotan (Anzug in herrlichem Altgrün) ist wieder Michael Volle. Man hört: Maßlosigkeit zeternden Jähzorns (Wo ist Brünnhild‘, die Verbrecherin?), messerscharfen Lebensrückblick (Untreue übt‘ ich) und crazy Selbstmitleid (der Traurigste bin ich von Allen). Das Gute ist, dass das wortverständlich zum Mitschreiben ist. Mit irrer Wortbedächtigkeit schnüffelt Volle da den Absurditäten von Vaterkonflikten nach. Er rezitiert fast. Verbindet quasi Dignität des Kantablen (also so etwas wie Wagners hohen Stil) mit Realismus des Redens. Deshalb die Wachheit, Suggestivität der Artikulation, die Überdeutlichkeit der Wortnuancierung: Silben aus der Spätzlepresse. Die südwestdeutsche Färbung kann einen an Gottlob Frick erinnern. Eindrucksvoll die Figurenzeichnung, das besserwisserische Räsonnieren des Ehemanns, das ungeduldige, typisch Wagnerische Verstanden-Werden-Wollen um jeden Preis, die patriarchale Großspurigkeit beim wortreichen Präsentieren des „großen Plans“. Will sagen, Volle bringt eine kräftige Prise Theatralität rein, eine energische Nuance Weltenkomödie, fast ein bisserl Falstaff im Vater Wotan. Wie gesagt, Volle macht das alles mit der Stimme. Dass der Sänger das alles auch spielt, ist bei der Hyperklasse des Vokalen fast schon Nebensache. Weil er so gut ist, leistet er es sich, Leb wohl und Der Augen leuchtendes nicht in sonorer Breite, sondern überraschend leise zu singen.

Leute, die Wotan-Fricka-Szene und die Wotanmonologe waren cose da ricordare.

Gut auch die Walküren, deren Besprechung (halb geschrieben, aber nicht fertig) ich vielleicht noch beim Göttergossip der Nornenszene (Götterdämmerung) nachreiche.