Thielemann und Staatskapelle pflegen Strauss und raren Liszt.
Von den beiden Erstlingswerken unter Liszts immerhin 12 Symphonischen Dichtungen tönt das seltene Ce qu’on entend sur la montagne (Was man auf dem Berge hört, Berg-Symphonie) heute frischer als der bekanntere Tasso. Die Berg-Symphonie wirkt zu Hause auf mp3 sperrig und viel zu lang. Klauwell bemängelte schon 1910 „völlige Formlosigkeit“ und „endlose Wiederkehr der Motive“. Aber im Großen Saal der Staatsoper geht die Exposition runter wie Öl. Die Reprise haut mit genialer Redundanz um. Da türmen sich Themen wie 20 Jahre später bei einer Apotheose vom Bruckner. So ist es: Eine Symphonische Dichtung ist keine Symphonie und funktioniert fundamental anders. So klingt Neues: unberechenbar, bewusst frappierend. Der Verklärungsschluss fordert das Publikum. So applaudiert es leicht ratlos.
Für Liszt hat die Staatskapelle Klangpracht und Eloquenz.
Doch die musikalische Dichterschicksalschilderung Tasso, Lamento e Trionfo klingt heute Abend berechenbarer, in der Reihung der Themen, im strahlenden lieto fine. Obwohl Thielemann und Staatskapelle die Unterschiede zwischen Bacchanalethema und Tassos Klage leuchtstark und klangfein herausarbeiten.
Ich freue mich riesig auf Hunnenschlacht und Mazeppa in einer der nächsten Saisons.
Zuvor Strauss-Lieder.
Die werden von Erin Morley im Großen Saal vokal superb gesungen. Weil der Sopran hell klingt und klanglich aufreizend kostbar. Und mühelos anspricht. Das führt zu guter Wortverständlichkeit. Und weil das energische Vibrato die sopranblitzende (und doch bestens klangfeste) Höhe unter stete Spannung setzt.
Mitreißend der Eifer, mit dem Morley das kostbar konventionelle Bächlein aus dem Jahr 1933 abspult. In Freundliche Vision singt die Sopranistin „Und ich geh mit Einem“, wie heutzutage bei Sängerinnen üblich. Güden und Janowitz sangen noch brav „mit Einer“ – wie Pauline Strauss nach 1900 vermutlich auch.
Christian Thielemann und die Staatskapelle Berlin produzieren riesige Strauss-vibes, zupfen kolossale Klangwechsel aus Stimmgeweben, ohne den natürlichen Fluss zu gefährden. Nie schleppend, immer wunderbar pushy, nie opernhaft, immer bestrickend gedämpft, wo die Instrumentation von Lied zu Lied wechselt, wo nötig mit Schmäh, und trompetenhell im Schluss der Zueignung.
Stören tut bisweilen die US-amerikanisch angesoundete Artikulation. Das fällt im Ständchen auf, wo Strauss apart Biedermeier und Neorokoko abmischt, oder in Mein Auge, einem luxurierend ambivalenten Liebesgesang. Kein Zufall, dass das strahlende Finish, das Morleys ihren Interpretation mitgibt, schnell mal leicht unpersönlich wirkt. Ein Wiegenlied mit biographischem Hintergrund stellt das intime Meinem Kinde dar. Und ein Coup ist die irre Koloratur-Burleske Amor, nach Brentano, 1919 entstanden, die Erin Morley schon 2021 unter Thielemann in Dresden sang. Superschlank im Ton, betörend im Timbre, aber hörbar gehemmt, was die emotionale Expansion angeht, zuletzt Zueignung, das einzige Lied, das Strauss orchestrierte, nachdem schon eine Orchestrierung von fremder Hand, nämlich von Heger, vorgelegen hatte.
Meinen Kindern hab ich immer gesagt : Seht, der Mendelssohn ist genau gegenüber von Curry36 und dem Dönerladen begraben. Seht zu, daß ihr es auch soweit bringt !
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Was stört, ist die Berliner ignorante Arroganz.
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