Endlich einmal wieder Mal reggendo, Tacea la notte, Ah sì, ben mio, Il balen und D’amor sull‘ ali hören.
Berliner Staatsoper.
Anna Netrebkos Leonora hat Präzision, Power und Readiness. Der Höhepunkt ist D’amor sull’ali rosee, eine der magischsten Verdiarien überhaupt. Die Sopranstimme ist rund und fest und wird gut geführt, der Ton ist suggestiv, der Klang groß, die Gefühlslinie leuchtet fein-üppig, die Energiereserven scheinen endlos. Das Timbre: inzwischen mehr Matrone als Backfisch. Der Saal ist aus dem Häuschen. Die Brusttöne, eine ihrer Markenzeichen, tönen kraftvoll, doch nie harsch.

Mit 54 Jahren sitzt verzierte Musik (Cabaletta Di tale amor) immer noch bestens. Und die Triller in D’amor schweben über dem Azur des hochromantischen Gefühlskosmos wie perfekt geformte Schönwetterwolken. Dazu kommt die dunkel vibrierende Pathos-Fülle in allen Registern. Es fällt auf, dass die Attacke nicht mehr so spritzig ist wie vor zehn Jahren. Dafür ist die Interpretation reicher. Freilich, eine Kritik gibt es, und eine nicht unerhebliche: Die undeutliche Artikulation mindert das Sprechende von Verdis Musik, ebnet Ausdrucksnuancen ein.
Im Troubadour scheinen sich all die Rezitative, Arien, Tempi di mezzi, Cabaletten und Final-Strettas in einer nicht enden wollenden Kette aufzureihen. Und es bleibt ein beinah einsamer Gipfel der Gattung Oper, wenn sich Verdis Erfindungskraft als so groß erweist, dass mehrmals innerhalb der Duette vollkommen neue, frappierend prägnante Melodien auftauchen: mit am eindrucksvollsten das Dell’indegno rendere des wutschäumenden Luna im 4. Teil.
Wobei der von hassender Eifersucht geschüttelte Bariton-Bösewicht gerade nicht George Peteans Sache ist. Petean wirkt kultivierter. Ja, sein bei Leonora completely chancenloser Luna kann sogar mit dem Mitgefühl des Zuschauers rechnen. Im 1. Teil klingt die Stimme belegt. Doch im 2. ist Il balen dann ein Musterbeispiel gehaltvollen, nuancierten Verdigesangs. Agnieszka Rehlis singt eine zupackende Azucena, hat aber das Pech, dass man ihre zingara della Biscaglia heute unwillkürlich mit den Bombenstimmen der Leonora und des Manrico misst. Auch hier: Rehlis‘ Italienisch versteht schlecht, wer nicht in Reihe 3 sitzt.

Als Manrico bringt Yusif Eywazow den Saal nicht mit der C-Dur-Cabaletta Di quella pira (beide Strophen gut, aber nicht strahlend absolviert), sondern mit der Adagio-Arie Ah sì, ben mio zum Beben. Man hat noch im Ohr, wie unfertig der Tenor klang, als er auf den Opernbühnen auftauchte. Wie anders heute. Er singt kontrolliert, mit gutem Messa-di-Voce, unterlässt alle Tenor-Mätzchen, offeriert granitfesten Metall-Klang und singt einfach hervorragend, wenn man akzeptiert, dass Süße des Ausdrucks nicht sein Ding ist.
Riccardo Fassi ist als Ferrando eine schlanke Augenweide. Er trägt nicht nur Stiefel und Schnauzer, sondern singt den schauerlichen racconto von der auf dem Scheiterhaufen Verbrannten mit der aggressiven Empörung, die einem Angestellten des Hauses Luna gut zu Gesicht steht. Inez: Sandra Laagus, da ist immer dieser besondere Moment im 1. Teil, wenn die besorgte Inez die Arie der prima donna mit Quando narrasti fast unterbricht. Ruiz: Sotiris Charalampous. Apropos prima donna: In den Ensembles harmoniert deren Stimme und mit denen der primi uomini eher nicht gut, besondes auffällig im terzetto im 1. Teil.
Vom Pult kommt ein zackiger Verdi-Ton (Alexander Soddy). Alles, was auch nur entfernt nach Stretta aussieht, klingt gut. Alles, was nach düsterem Drama riecht, nicht.
Die gleißend hell ausgeleuchtete Inszenierung von Philipp Stölzl konterkariert das düstere, pessimistische Nachtstück Verdis mit einem ironischen Schablonentheater, das witzig ist, die Figuren aber zu Abziehbildern macht und so tanto male Cammaranos Libretto Grund-entkernt. Anders als die woke Deutsche Oper, wo in Arabella der Mandryka „Zigeuner“ singt, während gleichzeitig in den Übertiteln das Wort ausgelassen wird, ist die Staatsoper entspannter und lässt in den Übertiteln die Übersetzung für zingara, „Zigeunerin“.
Das glaub ich gern, daß Evjazov richtig gut war. Der war schon beim letzten Mal, als er noch mit der Primadonna verheiratet war, sehr sehenswert. Der Unterschied zwischen Netrebko und ihm ist, daß es so viele gute Manricos heutzutag nicht gibt.
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