Endlich wieder Verdis Nabucco an der Staatsoper Berlin. Aber muss es so einer sein?

Es ist 1841. Giuseppe Verdi mischt in Nabucco (Wagner laboriert gerade am Fliegenden Holländer) alttestamentarische Wucht und Innigkeit der Kantilene, und selten füllte der Komponist den Grundbaustein der italienischen romantischen Oper – die Dreiheit aus einleitendem Rezitativ, gefühlsbetonter Arie und feuriger Cabaletta – mit solch sprühendem Leben. In Verdis dritter Oper steht weniger der titelgebende Nabucco, vielmehr dessen Tochter Abigaille im Zentrum eines Beziehungsvielecks, das Verdi kunstvoll zwischen Abigaille, dem Vater Nabucco, ihrem Ex Ismaele und der Schwester Fenena spannt. Für Abigaille, in Wahrheit Sklavin, mixen Verdi und sein Librettist Solera einen Affekt-Cocktail aus ruchlosem Machtstreben, Eifersucht und Hass. Und katapultieren ihre biblische Heroine so zuerst auf den Thron Nebukadnezars, um sie schließlich dem Reuetod zu überantworten. Der das doppelte lieto fine – die Rückkehr der Isrealiten und die Läuterung Nabuccos – von Verdis dramma lirico erst sinnfällig macht.

Diese Abigaille, für die Verdi so feuerschnaubende Arien schrieb wie sonst nur noch für Odabella aus Attila, wird verkörpert durch Anna Netrebko. Die nach teilweisem Bann wegen des Russenkriegs wieder ins (westliche) Operngeschäft zurückdrängt. Die Wahl-Österreicherin gibt die Königstochter stürmisch temperamentvoll, mit pechschwarzer Lockenmähne, fauchend wie eine Diva. Die verinnerlichte Klage Anch’io dischiuso im zweiten Akt gerät top of Gesangskunst, exemplarisch konzentriert, voll dunkelrot glosender Leidenschaft, klangvoll im Piano, von sicher gefasstem, bestens kontrolliertem Ausschwingen der Melodie. Netrebkos Ton ist groß, immer noch wohltuend gerundet und klar, und mit ihm dominiert die Sopranistin spielend die Ensembles.

Schauer des Hörens vermitteln die saftig brodelnden, superb kontrollierten Brusttöne. Der höllenschweren Cabaletta Salgo già indes fehlen wenn nicht Furor, so doch Leichtigkeit virtuosen Furors. Nicht mein Geschmack ist Netrebkos schwimmende Melodielinie, was auch Folge der (typisch russisch) vermanschten Artikulation des Italienischen ist. Dennoch, Anna Netrebko ist, wie sie singt, wie sie spielt, was sie darstellt, jedes Kommen wert.

Die Inszenierung dazu liefert farbenfroh, verspielt und Regietheater-fern Emma Dante. Der Staatsopern-Nabucco ist schön anzuschauen, tut nicht weh – und hat doch unbestreitbare Meriten. Wenn nicht gerade eine Klagemauer bedrohlich aufragt, füllt die Bühne ein hohes, auf- und absteigendes Treppengerüst, das den schwarzen Raum nach hinten abschließt, dem Chor als statischer Aufstellplatz in einer Art eckigen Wellenformation dient und dem nach der Pause dekorativ Blumenschmuck entblüht (Bühne: Carmine Maringola).

Vanessa Sannino steckt das singende Personal in verhalten geschmackvolle Kostüme. So fächert Abigaille zur Thronusurpation den Rock pfauenartig zum spektakulären Glittergoldschild auf, tigert im Folgenden aber im schwarzen Rüschenkleid à la 1870er über die Bühne. Nabucco trägt schwarze Fantasie-Lederkluft mit Goldapplikation, während Fenena züchtig im weißen, hochgeschlossenen Kleid steckt. Die Juden tragen finsteres Schwarz und breitkrempige Filzhüte, die Jüdinnen bieder beblümte Hausfrauenkleider. Die Assyrer posen klamottig in weißen Sarastro-Kutten.

Extrem geschmacklos freilich zu Beginn die Choreo, wo Maskierte genüsslich Jüdinnen abschlachten. Aufrüttelndes Drama passiert sonst eher wenig, Personenregie-mäßig bleibt vieles Stückwerk. Hier Schreitreigen der Tanzstatistinnen (Choreographie: Manuela Lo Sicco), da tanzende Blumentöpfe, finstere Sturmhauben und gefuchtelte Pistolen, da steckt viel unfreiwilliger Opernhumor. Aber Leute, bei aller Kritik: Wie wohltuend ist allein schon der Videoverzicht. Hier geht’s um Gesang. Ich fühle mich drei Stunden lang, als säße ich in der Scala. Hat was.

Mit Gefühls-beglaubigender Baritonkraft ist der Nabucco des Luca Salsi unterwegs, freilich geht Salsi immer wieder der Temperament-Gaul durch, wo ein auf Deklamations-Linie achtendes Singen ratsam gewesen wäre, wie es Tézier und Piazzola Unter den Linden unlängst zeigten. Ivan Magrì interpretiert den Ismaele drängend tenoral, bleibt aber die lyrischen Feinheiten schuldig. Selten ist Marina Prudenskaja mit einer Belcantoarie zu erleben, heute haben wir es erlebt, Oh, dischiuso è il firmamento singt sie so tonlich präzise wie präsent, überdies belebt von einem die Charakterdarstellung vertiefenden Vibrato. Mika Kares vereint als Zaccaria priesterliche Stimmfülle und statischen Auftritt, der zuerst vorgesehene René Pape hätte sakrale Aura und Feinheit der Melodielinie vermutlich besser getroffen, die fordernden Spitzentöne indes weniger klangvoll. Überraschend die volle Stimme der Anna von Sonja Herranen.

Bilder: Bernd Uhlig / staatsoper-berlin.de

Die jüdische Exil-Klage Flieg, Gedanke singt der Chor der Staatsoper verhalten, wie überhaupt die räumlich weit verteilte Aufstellung, die die Regie den Chorsängern aufzwingt, geschlossenes Chorsingen wenig fördert. Bertrand de Billy dirigiert, gemessen an vergangenen Barenboim-Premieren, einen durchschnittlichen, eckigen, kaum leidenschaftlichen Verdi, der nie recht Klang werden will.

Thielemann sitzt zuerst in der Bühnen-, dann in der Mittelloge.

Viele Buhs für eine Nabucco-Neuinszenierung, die sich im weiteren Repertoire-Betrieb als bestens brauchbar erweisen dürfte.


Weitere Nabucco-Kritiken: „Dunja Rajter in schwarzer Spitze“ (Manuel Brug), „Sopranolymp“ (Udo Badelt, kostenpflichtig), „In den Schatten“ (Volker Tarnow, kostenpflichtig)