Drei Mal Unerhörte Musik im Livestream! Am 24. neue Klaviermusik aus USA, Kanada und Großbritannien, am 31. neue Kammermusik aus Südkorea mit Klangzugabe Saunders und Rodriguez, am 7. schlussendlich polnische Musik für zwei Akkordeone plus Elektro-Unterfütterung.

Das Klavierrecital am 24. spielt Joseph Houston. Das Programm offeriert Werke voller Ruhe und contemplativeness.

Es geht los mit dem kaum dreiminütigen Quietly Rising von Bryn Harrison (2008), das sich anspruchsloser gibt, als es ist. In Constellations I-III (2011) der Kanadierin Chiyoko Szlavnics stehen die Zeichen vollends auf quietness. Die drei Stücke öffnen eine landschaftliche Weite von eigentümlicher Stille. Und Sinuswellen verstärken den Eindruck sanften Fließens. Anders die in Toronto lebende US-Amerikanerin Linda Catlin Smith, die ihr Stück The Underfolding (2001) mehr akkordisch orientiert, dabei aber stets lockeres Gefügtsein wahrt. Das Ohr wird umschmeichelt, der Banalitätsverdacht nachsinnend in Kauf genommen. „Beautiful, poised and thoughtful“ beschreibt der Guardian. Im Vergleich zu The Underfolding ist der erste Akt Parsifal hochhektische Musik.

Der ganze Abend ist ziemlich kanadisch geprägt.

Jedenfalls stammt Max Murray auch aus Kanada. Dessen Stück Agnes Wrote (2020) setzt minimalistische Akkordverwehungen gegen hauchzarte Klirrgeräusche. Einnehmend. Cassandra Miller gut viertelstündiges Philip the Wanderer (2012) bettet oder kettet immergleiche Motive in einen pianistischen Strom, der mal pulsiert und rauscht (I, Gently rumbling without direction), mal tröpfelt (III, Joyfully, jauntily, as if running away from regret itself). Ist das elegant? Ist es. Und prozessualer als die heute gehörten Smith und Szlavnics, aber bei erster Hörbegutachtung nicht ganz so erstaunlich wie Cassandra Millers eigenes Duet for cello and orchestra von 2015. In Berlin sträubt sich Ultraschall (noch?) erfolgreich gegen Millers Musik.

Bleibt noch Joseph Houston, dessen eigenes Werk (2023), hier und heute uraufgeführt, sich spielerisch und kalligraphisch polt, Genauigkeit und Abundanz liefert, und Motivwiederholungen wie Spiegelungen wirken lässt. Aus dem Bereich kauziger Miniatur reicht es weit hinaus.

Pianist Houston, in jedem Augenblick voll und ganz bei der Sache, sitzt im Hemd Typ Blumentapete frühe 50er am Flügel. Den Mann hörte man zusammen mit Sarah Saviet in Witten und bei Ultraschall, übrigens beide Male mit der Kokomposition Taste von Poppe/Saunders.

Eine Woche später summiert das Ensemble KNM Berlin neue Werke südkoreanischer Komponisten. „Korea 23“ heißt der Abend.

Was hört man? Kurze Auftragswerke in wechselnden Kammerbesetzungen, heute und hier uraufgeführt.

In Seil Ohs Rest VI wird minimalistischer Einsatz durch maximale Konzentration aufgewogen, jede Aktion wird der Stille (oder dem Geräuschnebel der Saaltechnik) abgeluchst und als verfeinerte Hörware mit deutlich fernöstlichem Klang-Flair serviert.

In der Schwebe… VII (UA) von Gyu-Bong Yi funktioniert als Dialog zu dritt, wenn nämlich Geige und Bratsche – beide haarrissfein nuanciert – gemeinsame Sache gegen die Bassklarinette machen. Eunhwa Chos Eosphoros und Hesperos gibt sich stattdessen als lebhaftes Antikenstück zu erkennen, so dass es auch hier um einen Dialog geht, hier freilich zwischen Morgen- und Abendstern. Bei Cho ist alles Geste, Streichergebärde, Ballung, Klavierkommentar, spitzfindig arrangiert und prima musiziert.

Sein Stück für zwei Violinen nennt Do-Won Yu schlicht Duo, schichtet es luftig. Klangpunkte werden dicht gesät, Bogenhiebe geraunzt und von Pizzicatogeflechten ummantelt, das verheißt mehr lustvolle Klang- als mühvolle Seelenerkundung. Auch Yu ist Südkoreaner.

Als Abschluss der durchweg feinen Werkpräsentationen richten KNM Berlin den Blick doch noch einmal nach Amerika/Europa.

Denn es folgt La Machine à gloire (2020) von Ana Maria Rodriguez für Kontrabassklarinette und Elektronik. Widmungsträger Theo Nabicht spielt. Phänomenal. Kurzes Lauter-Werden. Tröten, bebende Luftsäulen und Geräusch-Klangballungen, heftig verwoben mit Klappengeräuschen. Zuletzt von Rebecca Saunders das Streichquartett Fletch von 2012. Es wird gefährlich. Denn das Werk ist scharf geschliffen wie je. Seine Zauber – Reaktionsschnelligkeit, Triftigkeit der Partikel, enorme Befähigung zur Verflüssigung der Strukturen – verfangen auch im BKA-Theater.

Gestern gastieren dann Marta Śniady, Macjei Frąckiewicz, Rafał Łuc mit einem größtenteils polnischen Programm. Teilweise kennt man die Musiker vom fitten polnischen Ensemble Kompopolex. Jedenfalls geht es um Musik für zwei oder mehr Akkordeone und Elektrozuspielung.

Zuerst legt Wojtek Blecharz 3rd Phase (2012) wilde Akkordeonkapriolen über das heimtückisch phasenverschobene Ticken zweier Metronome. Dann platziert Pawel Hendrich in Dualabilis (2019) gekonnt Akkordeonkommentare. Die zwischen sekundenschneller Vergänglichkeit und schnippischer Schönheit positioniert werden. Minimalistisch, aber irgendwie auch optimistisch, weil die Klang-Gespinste sich als durchaus transparent erweisen. Unsinn, Witz und Utopie kommen bei Aleksandra Gryka, der das Klangforum Wien im hiesigen Konzerthaus vor einiger Zeit ein Porträtkonzert widmete, im futuristischen Märchen cosmic unicorn radiation zusammen. Auffallend die virtuos gezackten Repetitionen der beiden Akkordeone.

Fotos: Youtube Livestream Unerhörte Musik

Marta Śniady wacht als strenge Zeremonienmeisterin über die Elektronik, während Frąckiewicz und Łuc ihre Instrumente traktieren.

In die bäume wachsen in den himmel nicht… ruft die Weißrussin Oxana Omelchuk eine versponnene Bilderwelt herauf, in der sich die melodischen Bruchstücke als mal schmerzhaft, mal glückheißend erinnerte Nostalgiesplitter reihen. Evil Nigger von Julius Eastman (hierzulande bekannt seit der Retrospektive im Rahmen von Maerzmusik 2017) erklingt in der Fassung für vier Akkordeone (Piotr Peszat), von denen zwei zugespielt werden. Cool. Hysterisch vibrierende Klangflächen, deren atemloses Dahinjagen mit fast toccatahaft barocker Rhythmik korrespondiert. Ein extrem spielbares Stück, in dem nicht nur virtuose Lust, sondern auch Wut und Adrenalin züngeln.

Lohnt sich immer, die Konzertreihe Unerhörte Musik.