Turandot, die Prinzessin des Todes, ist eine Mega-Marionette – das ist der Kern der neuen Inszenierung von Philipp Stölzl an der Berliner Staatsoper. Haut das hin? Puccinis letzte Oper als Marionettentheater? Zum Schluss wird das nicht ganz eingelöst. Bei Stölz ist der Weg das Opernziel. Und der geht spektakulär los. Eine Riesenmarionette mit Holzgelenkfingern und zeltartigem Gluckenkleid füllt den sonst leeren Bühnenraum (Bühne: Franziska Harm). Aber das hübsche, chinesische Gesicht ist Fassade. Die Puppe wird von Arbeitern (=Demagogen?) gelenkt. Und wird im weiteren Verlauf schnöde demaskiert.

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Fotos: Matthias Baus

Das sensationslüsterne Volk steckt in grauen Mao-Uniformen (Kostüme: Ursula Kudrna), ist stets ein sichtbarer Akteur, es reckt die Arme, drängt sich ballend zusammen und formt sich zur Mauer. Das sieht gut aus, ist spannend, auch lichttechnisch bleibt kein Zuschauerauge trocken (Licht: Irene Selka).

Die Kritik: Um eine Ecke zu viel gedacht ist, wie es mit der Marionette zu Ende geht. Hat doch das Abfallen von Holzgliedern und Maske, wobei schließlich das Totenantlitz enthüllt wird, mit der realen Turandot irgendwann nur noch wenig zu tun.

Die wird von Elena Pankratova gesungen, mit intensivem Timbre, glühendem Ton, herzhaft guttural und fulminanten Spitzentönen. Hätte die im März mit unnötig viel Aplomb ausgeladene Netrebko das auch so gekonnt?

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Der Calaf von Yusif Eyvazov (in einer Art Hosenanzug aus wattiertem Weiß) überrascht als gestandenes Tenormannsbild, tragfähig in der Höhe, sonor-klangvoll bei Non piangere, Liù. Eyvazovs Tenor hat an Schwere gewonnen. Einziges Manko: eine gewisse Steifheit. Weniger gut gefällt mir die Sklavin Liù, Aida Garifullina (schlohweiße, frühalt wirkende Neanderthal-Mähne), die hier eine aufregende Gilda sang. Nicht so gut ist Signore, ascolta. Ich vermisse Wärme und Legato. Prima schlägt sich das melonentragende Minister-Terzett Ping, Pang, Pong (Gyula Orendt, Andrés Moreno García, Siyabonga Maqungo), die manches Tanzschrittchen wagen. Siegfried Jerusalem fängt sich als brüchiger Kaiser ein Buh ein. Der blinde Tattergreis Timur wird wohl nicht als Paraderolle von René Pape in die Annalen eingehen. Und als allseits sonorer Mandarin, eine Art ins Puccini-China versetzter Heerrufer, gefällt David Oštrek.

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Mit all seiner Erfahrung agiert Zubin Mehta am Pult. Dazu braucht er nur minimale Gesten. Die Staatskapelle singt, schmeichelt und schlawinert, als hätte es den Premierensekt schon vorher gegeben. Da ist nicht immer alles genau (erstes Ping-Pong-Pang-Terzett), klingt aber nie falsch. Die brachialen Pracht-Tutti sind unbeschreiblich. So klingt Turandot. Das Rhythmische sitzt, aber ohne jeden Anflug von Pedanterie. Prima auch der Chor, dessen Wucht die Ohren durchbläst.

Fazit der Kritik: musikalisch top, szenisch immerhin hochinteressant.


Weitere Premerienkritik Turandot: „Hingucker-Bauprojekt“ (Volker Blech), „Gruselig-kulinarisch“ (Dieter David Scholz), „Sie soll ein Monstrum sein, und klingt prompt so“ (Luehrs-Kaiser-Kritik)