Die ersten Publikumskonzerte stehen an. In Oper, Konzert, Clubs. Zwar als Pilot- und Testprojekt und einmaliger Durchlauf. Aber immerhin. So geht’s: Wer rein will, muss tagesaktuell getestet sein. Die Tests sind kostenlos. Beim Reingehen personalisiertes Ticket, Ausweis und digitalen Testnachweis zeigen. Drinnen wird im Schachbrettmuster gesessen. So in etwa werden Konzerte bis Jahresende und vermutlich bis weit in 2022 aussehen. Warum auch nicht? Anders geht’s halt nicht.
Vorerst aber gibt’s Konzerte & Co weiterhin nur per Radio oder online, verpackt in Pixelpakete und geliefert in Bitraten. Das Trio Catch gibt Zoom-Konzerte, überführt so das bewährte Gesprächskonzert ins Corona-Zeitalter und schafft digitales Gemeinschaftsgefühl. Man meldet sich an, bekommt den Zoom-Link gemailt, los geht es. Über Zoom wird vorher und nachher geschnackt. Die drei Musikerinnen sind live dabei, Komponist Räisänen in Helsinki ebenso (ist das im Hintergrund eine Gefriertruhe?). Man hört das Stück @ch. Es ist kurze elf Minuten lang (vorproduziert im Radialsystem). @ch ist natürlich erst einmal ein witziger Titel, das Werk besteht aus vier Teilen (ich Dubbel höre jedes Mal nur drei) und die Motive sind größtenteils pfeifbar. Was aber eher nicht für die irrsinnigen Klarinettenläufe und virtuosen Ensemblepassagen gilt. Witzig ist nicht nur Räisänens Vorliebe für Wortspielereien (Hatch, Match, Mismatch, Scratch, so die Satzbezeichnungen), sondern nicht weniger der gestisch, fast pantomimisch lebhafte Zug seiner Musik. Nächstes Zoom-Meeting mit dem Trio Catch: 29.3., dann mit Irene Galindo Quero.

Am Dienstag streamt das großartige Ensemble unitedberlin live aus dem BKA-Theater. Mit dabei ist jede Menge Xenakis. Zuerst aber spielt man Jobst Liebrecht. Von dem Hamburger Komponisten stammen die 6 Stücke für Streichquintett und Harfe (1991), hörenswerte Miniaturen zwischen Konzentration und Überredung. Es folgt von Ying Wang Durchsichtiges Lied für Flöte und Harfe. Das Stück von 2013 klingt, als würde das eine Instrument in Echtzeit über Aktionen des jeweils anderen improvisieren (Martin Glück, Anna Viechtl). Der 20. Todestag von Iannis Xenakis ist Anlass für die Aufführungen von fünf kammermusikalischen Werken der 1950er und 1970er Jahre.
In Charisma von 1971 geraten Klarinette und Cello immer wieder in heftiger klanglicher Intensität aneinander (Erich Wagner, Lea Rahel Bader). Mikka (1971) ist ein Solostück für Violine, dessen Glissandi sich wie Gummi in alle Richtungen biegen (exzellent Biliana Voutchkova), während Dhipli Zyia (1952) für Streichduo eine kraftvolle rhythmisierte Volksmusikstudie in der Bartók-Nachfolge darstellt. Fesselnd Theraps (1976) für Kontrabass solo, weniger ein Monolog in musikalischer Form als die Darstellung von Musik selbst, präzise und leidenschaftlich dargeboten von Matthias Bauer. Zuletzt Geflecht von Christoph Breidler (UA der Neufassung), wo der Komponist insektenhaft eifrige Elektronik mit minimalistischen Äußerungen der Instrumentalisten unterfüttert. Wie meist beim Ensemble unitedberlin ein dicht und luxuriös programmierter Abend. Nachzuhören hier.

Dann die Berliner. Semjon Bytschkow leitet. Lisa Batiaschwili spielt das Tschaikowsky-Konzert. Die georgische Geigerin fasst die Themen wie rohe Eier an. Ganz so wie die Mehrzahl der heutigen Geiger. Denn das Opus 35 als schnödes Virtuosenfutter ans Publikum verfüttern, das war einmal. Batiaschwili arbeitet sensibel Details heraus: das verwehte Tremolo direkt vorm 2. Thema. Ihr Ton ist nie nur-sonor oder unglücklich voluminös. Sie verteilt nuanciert Licht und Schatten: im Triller, der in die Reprise leitet, und gleich darauf, wenn die Geige das erste Mal das ganze Thema aufnimmt. Ich höre einen klaren, perfekt deutlichen, vollendet stilsicheren Tschaikowsky, ohne jede Schroffheiten, sehr modern in der Scheu vor Überschwang. Wer in der Durchführung nur die Zagheit und nicht die Intelligenz hört, kann sich zu Beginn am cremig weichen Portamento erfreuen. Wenige Stellen stehen so sehr für Tschaikowskys Musik wie jene Triller-durchsetzten Einsätze und Umspielungen von Soloflöte und -klarinette im langsamen Satz, die einem immer schwer erklärliche Schauer über den Rücken jagen.

Die Berliner Philharmoniker fahren bei Tschaikowsky die Krallen nicht aus. Es gibt vorm Finale auch nur zwei richtige Tutti-Ritornelle. Dann kommt die Sinfonie Nr. 7 von Dvořák. Was und wie die Philharmoniker da spielen, überrascht mich doch. So richtig hatte ich Bytschkow nicht auf dem Schirm. Die Siebte kommt aus dem Ofen wie ein Schmorbraten von Bocuse. Der Streicherklang hat Dolcezza und wunderbare Tintura. So gespielt, züngelt und flammt Dvořák. Schmerzhaft lyrisch der 2. Satz. Tschechisch das Tanz-Scherzo mit der Bläserseligkeit des Trio. Passt scho. Die vier Sätze schließen sich selbst am PC, mit Kopfhörern, wo man zu viele Details hört und nicht das Ganze, zur großen Einheit. Nachzuhören in Kürze in der Digital Concert Hall (kostenpflichtig).
Angesichts der in die Höhe schießenden Inzidenzen auch in Berlin wird das so schnell nichts mit Publikumskonzerten. Wer weiß ob die anvisierten Konzerte überhaupt stattfinden können. Dennoch großes Lob für die Senatsinitiative.
LikeLike
Du berliner autoritärer idiot.
LikeLike
Ich war noch nie in einem „Club“. Einmal sagte ein Doktorand zu mir, ich hätte was verpasst. Ich kann das nicht glauben, wenn ich seinen Werdegang sehe. Erst Clubs, jetzt 60 Stunden in der Woche bei IG Farben. Nein, danke.
LikeLike
Nur ein Berliner kann dem hochwürdigen „Senat“ danken. Weil er selber keine Initiative ergreifen muß.
LikeLike